Von Paraguay zurück nach Uruguay

3 Länder in einer Woche

Mit dem Blick auf die kühleren und regnerischen Wettervorhersagen für Uruguay und speziell um Montevideo herum, kosten wir die Zeit im tropisch-warmen Paraguay bis zur letzten Sekunde aus.
Aber es hilft alles nichts, der Verschiffungstermin für unser PuCe steht fest und wir haben immerhin noch gut 1.200 Kilometer vor uns bis zum Hafen in Montevideo.
Und wenn wir eines gelernt haben während der wundervollen letzten Monate, dann ist es „langsam Reisen“. Also packen wir unsere sieben Sachen und verabschieden uns von Paraguay und fahren zu dem kleinsten Grenzübergang unserer bisherigen Tour. Nach Bella Vista.
Hier gibt es eine Fähre über den Río Paraná hinüber nach Argentinien. Wir werden im Wohnzimmer des Grenzbeamten sehr freundlich und vorbildlich ausgecheckt und rollen ans Ufer des Flusses, wo die Fähre anlegen soll und bezahlen die Überfahrt. Aber erst nachdem uns der Fährmitarbeiter glaubhaft versichert hat, dass unser Truck auch tatsächlich auf den Kahn passt.

Jetzt heißt es warten. Denn die Fähre wird vom gegenüberliegenden Ufer erst ablegen, wenn sie mindestens halbvoll beladen ist. Beim Anblick dessen, was da nach etwa einer dreiviertel Stunde vor unseren Augen auftaucht, rutscht uns unser Herz für einen kurzen Moment in die Hose. Auf dieser altersschwachen Schaluppe sollen wir den breiten Fluss überqueren? Doch alle reden uns gut zu und mit einem beherzten Satz nach vorne findet unser Auto seinen Platz ausgemittelt auf der Ladefläche.
Leinen los, Augen zu und ab geht’s. Alles geht gut. Herzlich werden wir auf der argentinischen Seite von den Matrosen von Bord gewunken und wir machen uns auf, ein letztes Mal in Argentinien einzureisen.

Irgendwie scheint ab jetzt alles „ein letztes Mal“ zu werden. Daher genießen wir auch die länger dauernde Abfertigung beim fußballverrückten Grenzer (er scheint ein echter Fan der deutschen Bundesliga zu sein) bevor wir uns auf die 300km Tagesetappe auf toll ausgebauten Straßen durch die Provinz Missiones im äußersten Nordosten des Landes nach La Cruz machen. Umringt von Pferden und Kühen verbringen wir eine ruhige Nacht am Río Uruguay.
Der Weg führt uns weiter Richtung Süden entlang riesiger Zitrusplantagen. Die Bäume hängen voll mit den orange und gelb strahlenden Früchten, für die das hiesige Klima und der Boden scheinbar ideal sind. Die Straßenränder sind gesäumt mit Verkaufsbuden. Die Regalbretter biegen sich unter der Last des reifen Angebots und irgendwann erliegen wir dann auch dem Marketingdruck: mit einem Sack fast Handball großer, frisch geernteter, duftender Orangen im Gepäck gleiten wir in den nächsten beiden Tagen über die Thermen von Chajari hinüber nach Uruguay zu den Termas de Guaviyu. Wir verbringen die Nachmittage wie Nilpferde im warmen Wasser dümpelnd.

Der Abschied von Argentinien fällt uns sichtlich schwer. Was haben wir nicht alles in diesem großen, vielfältigen Land erleben dürfen. Immer wieder lesen wir die Reiseberichte der vergangenen Monate und können unser Glück kaum fassen. Neben den unglaublich faszinierenden Naturschauplätzen, den dazwischenliegenden Pampa-Einsamkeiten sind es vor allem die Menschen, die sich trotz der immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Situation mit ihrer überschwänglichen Fröhlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft in unsere Herzen gebrannt haben.

Nur eine kurze, gemütliche Etappe weiter finden wir uns auf dem ruhigen Friedhof in Paysandú wieder. Viele Gräber sind über und über geschmückt mit den Zeichen der weltumspannenden Freimaurerbruderschaft. Zirkel und Winkelmaß, das schwarz-weiße Pflaster und viele andere Insignien zeigen auf ein Leben der Verstorbenen im Sinne der Menschlichkeit, Brüderlichkeit und Toleranz hin. Schon auf den Friedhöfen Recoleta in Buneos Aires, im chilenischen Valparaiso aber auch in Montevideo sind uns die öffentlichen Bekenntnisse zu der Mitgliedschaft und zu den ethischen Grundwerten dieses Bundes aufgefallen. In Deutschland (immer noch) eher eine Seltenheit.

Den Rest des Tages verbringen wir auf dem See-Grundstück von Gerardo etwas außerhalb von Paysandú, auf dem Hunde, Enten, Gänse und Nutriafamilien (ähnlich Bisamratten) frei und völlig entspannt um unser Auto herumstromern. Ab hier wird es merklich kälter. Obwohl tagsüber noch angenehmes T-Shirt-Wetter, lässt nun Nachtfrost das Gras in den frühen Sonnenstrahlen weiß glitzern. Der Winter hält Uruguay in seinen Klauen. Gut, dass wir die Tage im tropischeren Paraguay ausgedehnt haben.

Kurz vor Montevideo machen wir noch einen letzten Stopp am Wasser. Direkt am Río de la Plata tanken wir Meeresluft. Wir sind die einzigen Gäste im Balneario am Punta Espinillo. Und da gerade Nebensaison ist, brauchen wir auch nichts zu bezahlen…vielen Dank! Von der gegenüberliegenden Seite des Silberflusses blinken abends bei einem Glas Rotwein die argentinischen Leuchtfeuer am Horizont zu uns herüber. Vielleicht ein letzter Abschiedsgruß? Wir wollen das jedenfalls so glauben.

Nachdem am folgenden Tag alle Papiere bei der Reederei komplett, alle Unterschriften auf Ausfuhrvollmachten und anderen Zolldokumenten drauf und – ganz wichtig – die Hafengebühren in bar gezahlt sind, machen wir es uns bei Jan und Marieke auf der Chacra Holandesa etwas außerhalb der Stadt für die nächsten Tage gemütlich.

Obwohl so lange wie möglich hinausgeschoben müssen wir uns jetzt wirklich an unsere eigenen Rückreisevorbereitungen machen. Das PuCe wird geputzt und für die Atlantiküberfahrt umgeräumt, Wäsche gewaschen und Koffer gepackt. Die restlichen Lebensmittel inklusive unserer Gasflasche verteilen wir an Neuankömmlinge, die nun ihr eigenes Abenteuer starten. Trotzdem finden wir die Zeit für ausgiebige Strandspaziergänge am Atlantik…pardon…am Río de la Plata. Das Wasser ist nur wenige Fahrradkilometer die Straße runter.

Jeden Nachmittag um Punkt 17 Uhr trifft sich die Campingplatztruppe zum Aperitif auf der Terrasse; Geschichten werden erzählt, Informationen, Tipps und übrig gebliebenes Bargeld getauscht. Haben wir vergangenes Jahr noch als Südamerika-Anfänger den interessanten Erzählungen der bald Heimreisenden gelauscht, so dürfen wir nun unseren angehäuften Erfahrungsschatz mit anderen teilen. Verrückt, was sich so alles in einem knappen Jahr ansammelt…

Es hilft alles nichts. Der Abgabetermin im Hafen am 07. August pünktlich um 14 Uhr steht fest. Leider darf nur eine Person, also der Fahrer, das Auto auf das Hafengelände bringen; nach kurzem Knobeln fällt die Wahl auf Christian.
Aufgrund der Unwägbarkeiten, d.h. der immer wieder auftretenden Verspätungen der Schiffe, haben wir unseren Weiterflug nach Phoenix, Arizona etwas nach hinten geschoben. Das gibt uns die Möglichkeit, die nächsten Tage Montevideo neu zu entdecken. Da unser Hotel an der Plaza de Independencia liegt, also mittendrin in der Stadt, zwängen wir uns noch einmal durch die engen Gässchen der Altstadt und werden vom netten Hotelportier direkt vor dem Haupteingang platziert.
„Kein Problem, du kannst hier stehen bleiben. 24-Stunden-Wachdienst. Hier ist es sicher.“
Er war doch tatsächlich der Annahme, dass wir die nächsten 4 Tage inklusive unseres Autos hier zu Gast bleiben würden. Patricia bleibt mit dem Gepäck zurück und Christian macht sich auf zum Hafen.

Die Abgabe ist von der Reederei super vorbereitet. Zusammen mit noch einem anderen Rückreisenden geht die Fahrt hinter dem betreuenden Agenten durch das Gewirr des organisierten Chaos zur Hafenbehörde, zum Zoll und schlussendlich zum Fahrzeugdepot, wo Christian unser treues PuCe inklusive ALLER Schlüssel in fremde Hände übergeben muss.
PuCe wird noch ein paar Tage hier ohne uns ausharren müssen, denn – wir alle ahnen es schon – die Grande Buenos Aires verspätet sich weiter. Statt am 08. August soll sie nun erst am 13. August Montevideo anlaufen. Wir werden uns Anfang September in Hamburg wiedersehen.

In den folgenden Tagen lassen wir es uns am Hotelpool gutgehen, futtern uns durch kleine Restaurants mit typischer uruguayischer Küche und schnallen unsere Siebenmeilenstiefel unter, um Montevideo zu erlaufen.
Beim ersten Besuch vor einem Jahr haben wir den Palacio Salvo – den Zwillingsbruder des Palacio Barolo in Buenos Aires ausgelassen. Das holen wir nun bei einer Führung durch das riesige, fast einhundert Jahre alte Art-Déco-Gebäude nach. Die 22 Etagen des Palacio Barolo wurden vom Architekten Mario Palanti ja in Anlehnung an Dante Alighieris Göttlicher Komödie von der Hölle über das Fegefeuer in den Himmel ausgestaltet.
Nun, im Palacio Salvo hatte sich Palanti eines anderen Themas zugewandt: Darwins Evolutionstheorie.
Der ursprüngliche Plan war, über die aufsteigenden Stockwerke die bekanntesten Lebewesen unter der Erde, auf der Erde und im Himmel in aufwendigen Stuckarbeiten darzustellen. Doch die Auftraggeber, die erzkatholische Textilunternehmerfamilie Salvo, war mit den Ideen Palantis so gar nicht einverstanden, widersprechen sie doch der biblischen Schöpfungsgeschichte völlig. Palanti hat es dann doch irgendwie geschafft die vielen Tiermotive, die er eigentlich für 27 Stockwerke angelegt hatte, in die damals öffentlich zugänglichen unteren Stockwerke „zu pressen“. Daher lohnt sich der Blick an die Wandleisten und die Decken mit den überreich verzierten Stuckrosetten um die Kronleuchter herum. Aus lauter Frust über diesen Affront an seinem Genius verließ Palanti nach Fertigstellung des Palacio Salvo Montevideo, um nie wieder nach Uruguay zurückzukehren.

An der Ecke Plaza Indepedencia und Avendia de 18 Julio, an der heute der Palacio steht, befand sich vor 1922 das weithin bekannte Kaffeehaus La Giralda. Dort schrieb 1917 der Tangokomponist Gerardo Matos Rodríguez sein Stück La Cumparsita, welches als die Hymne des Tangos gilt und bis heute der bekannteste und meistgespielte Tango aller Zeiten ist. Rodríguez zu Ehren hatten die Familie Salvo und Mario Palanti das Tango-Café des La Giralda originalgetreu inkl. seiner Innenausstattung im Palacio Salvo an dessen ursprünglichem Ort nachgebaut. Wir fühlen uns 100 Jahre in die Vergangenheit zurück katapultiert und meinen die früheren Klänge und Stimmen der tangotanzenden Gesellschaft zu vernehmen. Heute gilt dieses kleine Schmuckstück als das Tango-Museum Montevideos schlechthin.

Der eingewanderte Kubaner Oscar entführt uns tags darauf bei einer privaten Stadtführung in „sein“ Montevideo – wegen Winter-Nebensaison sind wir die einzigen Wissbegierigen – und entdecken mit ihm uns völlig unbekannte Viertel und Ecken. Zum Abschluss können wir auf dem Dach der Stadtverwaltung, dem palacio municipal, in 80 Meter Höhe noch einen fantastischen Freiluftblick über die Hauptstadt genießen.
Und wer hoch fliegt, muss auch irgendwann wieder runter auf die Erde. In diesem Fall unter die Erde. Gleich nebenan liegt der Zentralfriedhof mit seinen imposanten Gräbern und Mausoleen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, dem wir natürlich einen Besuch abstatten. Irgendwie zieht sich das Friedhofthema seit Beginn wie ein roter Faden durch unsere Reise. Neben der architektonischen Andersartigkeit zu unseren bekannten Ruhestätten in Europa, laden uns diese Orte zum Anhalten und Durchatmen ein und bieten einen entspannenden Ruhepol im quirligen Treiben der großen Städte.

Ein Besuch in Montevideo wäre nicht komplett, ohne die Rambla entlang spaziert zu sein. Bis zum rot-weiß gestreiften Leuchtturm, dem Faro Punta Brava führt uns unser Weg. Er ist zwar nicht der Weltwunder-Leuchtturm des antiken Alexandria, aber doch ein wunderschönes Gebäude am südlichsten Punkt der Stadt, das den langen Spaziergang allemal wert ist.
Seit 1876 warnt dieses Leuchtfeuer einlaufende Schiffe vor niedrigen Riffen an der flach auslaufenden, gleichnamigen Landzunge. Weil immer noch in Betrieb, steht diese Anlage unter der Verwaltung der uruguayischen Marine, wird aber wenige Stunden pro Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wie bei einem Kasernenbesuch werden unsere Personalien von zwei freundlichen Soldatinnen aufgenommen und gegen Entrichtung eines kleinen Unkostenbeitrags dürfen wir in das, in glänzendem Weiß erstrahlende doppelstöckige Leuchtturmwärterhaus eintreten und weiter die engen Stufen hinauf bis in die Turmspitze mit seiner fast 20 Seemeilen weit sichtbaren Lampe und sogar hinaus auf die umlaufende Galerie klettern.

Mit diesem grandiosen Blick auf das weite Meer und der Stadt im Rücken geht unser Abenteuer Südamerika nun zu Ende. Der große Kreis hat sich geschlossen. Doch bevor wir endgültig nach Hause fliegen, freuen wir uns auf zwei spannende und entspannende Wochen bei unseren Freunden Sabine und Carl im sommerlichen Phoenix. Etwas wehmütig steigen wir die Stufen hinab und sind doch voller Freude und Dankbarkeit für all die großen und kleinen Momente auf dieser Reise. Von vielen haben wir berichtet, Fotos gemacht und mit euch geteilt und doch bleiben einige ganz privat, nur für uns, in unseren Erinnerungen und Herzen.

1 Kommentar zu „Von Paraguay zurück nach Uruguay“

  1. Hallo ihr Beiden
    so schnell vergeht die Zeit …. 😉
    ganz herzlichen Dank für’s ‚Mitnehmen‘ ❣️
    Gutes Ankommen und einen tollen Neustart🍀
    Herzliche Grüsse
    Sonja

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