Isla de Chiloé


Holzkirchen und entspanntes Inselleben

Überpünktlich finden wir uns am „embarcadero“ für die 22Uhr-Fähre von Chaitén nach Castro ein. Noch ist es hell und wir stoßen an mit einem Feierabendbier, so schnell eine Überfahrt trotz Hochsaison ergattert zu haben.
Die Fähre, die in der späten Dämmerung an der Rampe andockt, erweist sich als bessere „Schuhsohle“. Hochseetüchtig stellen wir uns gaaaaanz anders vor. Auf dem Deck müssen wir wenden (vorwärts rauf und vorwärts auch wieder runter), bevor die Mannschaft die Zurrketten an- und die Fähre um genau 22Uhr ablegt. In Ermangelung anderer Möglichkeiten übernachten wir im Camper. Nach knapp 9 Stunden Fahrt kommen wir im Morgengrauen ausgeschlafen und gut gelaunt in Castro an, wo wir am Kai in Ruhe frühstücken und uns stadtfein machen, denn um diese Uhrzeit schläft die Stadt noch.

Wir sind hauptsächlich aufgrund der schönen, rauen Natur und den alten Holzkirchen in den kleinen Fischerdörfern rund um die Ufer der Insel nach Chiloé gefahren. Chiloé ist trotz seiner nur 180km Nord/Süd-Länge und 50km Breite immerhin die zweitgrößte Insel Südamerikas – nach Feuerland. Und das zeigt sich auch im Selbstverständnis der Chiloten: „Wir sind nicht Chile“ oder „was in Santiago beschlossen wird, muss uns erst mal nicht interessieren“. Ein kleines gallisches Dorf am Südwestrand des Landes? Während der nächsten Tage werden wir die charmante und herzliche Ruppigkeit der selbstbewussten Fischer und Bauern noch besser kennenlernen. Überall blüht es, Hühner und Kühe bewegen sich frei und ohne Zäune und die Küsten sind wildromantisch.

Doch jetzt steht zuerst ein ausgiebiger Stadtbummel durch Castro auf dem Programm. Am kleinen Hafen hat sich ein Künstlermarkt etabliert, auf dem viele alte Mütterchen ihre typisch chilotischen Strickwaren anbieten. Aber auch die allgegenwärtigen Souvenirhändler hoffen auf Kundschaft. Wir schenken uns je ein Paar dicke, gestrickte Wollsocken gegen kalte Füße an kühlen Abenden.

Wie in den allermeisten Städten Chiles und Argentiniens ist der erste Anlaufpunkt immer die Plaza de Armas (kann man mit Hauptplatz übersetzen). An der Plaza steht auch unsere erste Holzkirche, die Iglesia de San Francisco. In Gelb und Blau überstrahlt sie den Platz. Auch das Innere ist komplett in Holz gehalten. Dort, wo wir in barocken Kirchen normalerweise von Schönheit und Pracht überwältigt werden sollen, zieht uns eine fast schon betörende Schlichtheit in den Bann. So richtig wollen wir gar nicht wieder raus in das quirlige Treiben auf den Straßen. Einmal die Hauptstraße auf und ab und wir haben das gute Gefühl, weiterziehen zu können. Nicht ohne noch eine Spezialität der Region (oder ganz Chiles?) probiert zu haben: den Completo Italiano. Ein aufgemotzter Hotdog mit Avocadocreme, Mayonnaise und Ketchup obendrauf (Grün, Weiß, Rot); wahlweise zusätzlich auch mit Sauerkraut erhältlich…dann ist er aber nicht mehr „italiano“, sondern „dinámico“ . In jedem kleinem Bistro, an fast jedem FoodTruck gibt es diese Mahlzeit für zwischendurch. Gut, dass wir das jetzt auch auf der Liste abgehakt haben. Hat uns schon länger beschäftigt, weil eben omnipräsent. Eine gute, hausgemachte Empanada (empanada casera) ist uns jedoch allemal lieber.

Da das alte Castro (ähnlich wie Monaco) auf einer Landzunge am Meer mit einem steilen Berghang im Rücken gegründet wurde, haben sich die Fischer anfangs wegen der Nähe zu ihrem Arbeitsplatz ihre Häuser und Handelsplätze auf Stelzen gegründet; den sogenannten palafitos = Pfahlbauten. Viele dieser Stelzenhäuser fielen jedoch dem Erdbeben von 1960 und dem anschließenden Tsunami zum Opfer. Heute stehen nur noch einige gut erhaltene palafitos in Hafennähe und etwas nordöstlich der Stadt an der Küstenstraße Calle Pedro Montt.

Und wie kam es nun zu den berühmten, chilotischen Holzkirchen, von denen einige im Jahr 2000 in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wurden?
Kurz nachdem die Spanier in den 1560er Jahren die Insel und ihre einheimische Bevölkerung, die Mapuche- und Chono-Indianer, unter ihre Herrschaft gepresst hatten, erreichten Jesuitenmönche die Insel und begannen mit der Errichtung von Kirchen. 1612 wurde das erste Gotteshaus geweiht und es konnte losgehen mit der Missionierung der Insel. In diesem Zuge wurden immer neue errichtet und ein regelrechtes Netzwerk über die Insel gespannt. Der Kirchenbau wurde nach der Vertreibung der Jesuiten im Jahre 1767 von den Franziskanern weitergeführt; und so finden sich – trotz fehlgeschlagener dauerhafter Christianisierung der Inselbewohner – heute noch unglaubliche 150 erhaltene Holzkirchen auf Chiloé. 16 davon wurden von der UNESCO in den Adelsstand erhoben. Als Baumaterial wurde auf die hier heimischen Zypressen zurückgegriffen. Die Fassaden sind zumeist in leuchtenden Farben angestrichen, auch die Innenräume oft farbenfroh gestaltet. Und die Dächer strahlen mit ihren kunstvoll ineinander gesteckten, farbigen Holzschindeln.

Da wir im Örtchen Dalcahue keine Parkmöglichkeit finden (hier tobt noch der Hochsaison-Tourismus), müssen wir die schöne Kirche Iglesia Nuestra Señora de los Dolores auslassen und fahren gleich weiter nach Tenaún an die Ostseite der Insel. Über die Ausläufer der chilenischen Küstenkordillere (die Anden zählen zu der Zentralkordillere, cordillera central) geht es durch eine zauberhafte Landschaft entlang einer felsigen Küste mit Blick auf die Gipfel der Anden im Osten. Und wir dachten, wir kommen auf eine flache Insel, aber hier ist es total hügelig; die Fahrt erinnert an eine Carrera-Bahn – schmale Sträßchen führen uns bergauf und bergab in wilden Kurven durch eine malerische Landschaft. Die Hügelkette der Cordillera de Piuchué im Inselinneren erreicht immerhin eine Höhe von bis zu 866 Metern.

Im verschlafenen Fischerdorf Tenaun finden wir einen tollen Platz direkt an der Costanera (der „Küstenpromenade“) und warten ab, bis am späten Nachmittag die Kirchentouris in ihren Bussen das Feld geräumt haben, bevor wir unsere Stühle in die Sonne stellen und mit Blick auf die kleinen Fischerboote im Naturhafen unseren Feierabend genießen. Heute (Montag) hat der Küster leider Ruhetag und daher können wir das Innere der Kirche Nuestra Señora del Patrocinio erst morgen in Augenschein nehmen. Später am Abend treffen wir vorbeiflanierende Familien und Pärchen aus dem Ort. Mit einer chilotischen Familie konnten wir uns super auf deutsch unterhalten (deutsche Vorfahren) und ein Rentnerpaar überraschte uns mit perfektem Englisch (mit einem süßen skandinavischen Einschlag). Sie haben mehrere Jahre in Schweden gelebt und gearbeitet.

Vor dem morgendlichen Kirchenbesuch ein kleiner Schreck: Christian bricht sich einen Backenzahn ab. Es stellt sich heraus, dass sich beim Frühstücksmüsli mehr als ein Drittel des Zahnes verabschiedet hat. Da Christian keine großen Schmerzen verspürt, bleiben wir noch einen weiteren Tag hier, besichtigen ausgiebig die Kirche und genießen die herrliche Stimmung an diesem Fleckchen Erde. Erst am darauffolgenden Tag fahren wir nach Ancud im Norden der Insel, um einen Zahnarzt zu suchen. Beim vierten Versuch (die ersten drei hatten entweder geschlossen oder waren für heute schon ausgebucht) erklären sich der junge Zahnarzt und seine Zahnarzthelferin netterweise bereit, ihre Mittagssiesta für uns zu opfern, und wir bekommen gleich einen Termin. Bloß den Zahn nicht ziehen! Geduldig, ruhig und professionell geht´s ans Werk. Die „restauracion grande“ dauert etwa 1,5 Stunden (inkl. Röntgen und Beratung, was und wie der beste Weg zu einem „neuen“ Zahn sei). Nach anschließender Rücksprache mit einer befreundeten Zahnärztin lief das genau nach deutschen Standards ab. Alles tipptopp. Erleichtert marschieren wir zum nächsten Supermarkt und machen die für die nächsten Tage nötigen Besorgungen. Denn die folgenden Tage wollen wir an der Nordwestspitze Chiloés an der Pazifikseite verbringen.

Mit ein paar Kilometern Umweg – der direkte Weg war uns durch eine zu schwach ausgelegte Brücke versperrt – erreichen wir die Ufer des Pazifik. In der Nähe des nur am Wochenende zur Besichtigung geöffneten Leuchtturmes Faro Punta Corona parken wir unser Auto kurz vor dem Strand Playa Corona an einer tollen Bucht; die Brandung rauscht und wir beobachten Weißbauch-Delphine ganz in Ufernähe während eines ausgiebigen Strandspaziergangs. Wir wollen und müssen hier nicht weg…also bleiben wir kurzerhand noch einen Tag. Backen unseren ersten Kuchen im PuCe (Marmorkuchen), machen weitere Strandspaziergänge und gucken Delphine…es könnte uns schlechter gehen!

Und weil für uns zwei alleine der Marmorkuchen zu groß ist, fahren am Nachmittag Iris und Pavel gefolgt von Charles, Kipp und ihren zwei Jungs Charlie und Mika aus Holland ebenfalls an diesen abgeschiedenen, ruhigen Ort. Große Kaffeetafel und Abends große Weinrunde. Die haben wir uns aber auch verdient; denn Charles und Kipp kommen mit einem pfeifenden Reifen vorgefahren. Das Ventil ist hin. Trotz neuem Ventileinsatz bekommen wir das Leck nicht dicht und so wird mit geballter manpower der Sprinter aufgebockt und der Reifen in NullKommaNichts gewechselt. Wir klopfen erneut auf Holz, dass unsere eigenen Reifen durchhalten mögen. Wir haben so gar keine Lust auf ein kolossales LKW-Reifen-Wechsel-Unterfangen.

Und weil es hier so schön und entspannt ist, bleiben wir halt noch einen weiteren Tag. Denn wir werden auf unserer weiteren Route so schnell kein Meer mehr sehen. Eine glückliche Fügung, wie sich im Laufe des Tages herausstellen wird. Katja, die Freundin einer Schwester von einer Freundin von Patricia (!) ist vor über 20 Jahren aus unserer Heimatstadt Herzogenaurach nach Chiloé ausgewandert und wir haben heute die Adresse erhalten. Nur wenige Kilometer von unserem Strand betreiben Katja und ihr Mann in der Pinguinbucht bei Puñihuil ein Restaurant und ein kleines Ausflugsbootunternehmen zu den Pinguinkolonien an der Westküste von Chiloé. Natürlich werden wir Katja besuchen fahren – wir sind ja zum Glück noch da.

Mit frischem Kaffee werden wir von Katja auf der Sonnenterrasse ihres Restaurants Bahia Puñihuil herzlich empfangen. Es stellt sich heraus, dass wir zusammen auf dem gleichen Gymnasium in Herzogenaurach waren; wir nur 4 Jahrgänge darunter. Bei Klatsch und Tratsch über gemeinsame Freunde und die neuesten Geschichten aus der Heimat sowie vielen Insider-Informationen über das Leben in Chile vergeht die Zeit wie im Flug. Zum Abschluss gönnen wir uns noch ein leckeres Mittagessen frisch aus dem Meer.

Am späten Nachmittag heißt es dann adiós Chiloé, wir fahren mit der Fähre von Chacao wieder aufs Festland zurück. Wir haben eine traumhafte Woche auf der Insel verbracht!

2 Kommentare zu „Isla de Chiloé“

  1. Hm… das mit den Sprungbildern klappt wohl immer noch nicht so ganz. Fleißig weiterüben lieber Christ. Liebe Frühlingsgrüße aus Oberlauterbach. JoMaJu

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