Von Ushuaia in den Torres del Paine Nationalpark


Nord bei Nordwest

Unser Ausflug in die Antarktis war ein ganz besonderes Abenteuer. Voll beladen mit Eindrücken und Erinnerungen schiffen wir schweren Herzens am 8. Januar aus. Mit Dianas Tenderboot Pollux (das zweite Tenderboot ist auf seinen Zwillingsbruder Castor getauft) setzen wir an den Pier über und fahren per Taxi zum Reisebüro. Dort warten schon die netten Chauffeure, um uns zurück zu unseren Autos auf den Bauernhof zu bringen. Frische Eier unter der Motorhaube finden wir leider keine.

So unvermittelt wollen wir uns als Reisegruppe dann doch nicht auflösen und daher beschließen wir, den letzten gemeinsamen Abend bei einem Abschiedsgrillen mit der Antarktisgruppe auf dem Camping Municipal zu verbringen. Schnell ist die Wagenburg gebaut. Und nun kommt unsere Bierbankgarnitur endlich zum Einsatz (hat sich also doch gelohnt, das schwere Ding mitzuschleppen). Mit etwas Improvisationswillen und unter großem Gelächter der Beistehenden spannen wir eine große Plane zwischen den Autos gegen Wind und Regen und stoßen in dicke Jacken gehüllt auf die vergangenen wunderschönen Tage an.

Abschiedsgrillen

Vorher fahren wir „noch schnell“ in den Parque Nacional Tierra del Fuego. Das südlichste Postamt des Kontinents und das Ende der Ruta 3 bei Kilometer 3079 sind natürlich wichtige Eckpunkte für uns…auf dieser Straße geht es nicht mehr weiter. 3079 direkte Straßenkilometer sind es nach Buenos Aires zum Kilometer NULL. Hier kehren wir um. Der Sonne wieder entgegen. Aufkleber pappt am Schild! Drei kurze, idyllische Wanderungen später geht es zum Grillen.

Nun wird es aber Zeit: am 9.1. heißt es „hasta luego“ und wir reißen uns „mit Gewalt“ von Ushuaia los (nicht ohne vorher noch unsere Gasflasche aufzufüllen) – am 22.12. sind wir durchs Stadttor in südlicher Richtung gefahren, ab jetzt geht es Richtung Nord-Nordwest.
Nur das Weiterreisefieber will sich noch nicht so ganz einstellen. Zu stark ist unser Bedürfnis, die vergangenen fast zwei Wochen richtig zu verdauen und nicht einfach einen Haken auf der Liste zu setzen, um dann zum nächsten Highlight weiterzustürmen. Wir bleiben zwei Tage auf dem schönen Campingplatz in Tolhuin am Lago Fagnano etwa 100km nördlich von Ushuaia. Aufräumen, ausschlafen, sauber machen, Fotos sichten und vor allem die Erlebnisse und Eindrücke der Antarktisexpedition verarbeiten. Noch sind unsere Speicher so voll, dass kaum Platz für Neues ist.

Und dem Rest der Truppe geht es anscheinend genauso – am zweiten Abend sind die vier Autos wieder komplett, nochmal gemütliches Beisammensitzen bei Kaminfeuer in der „cosina por todo“ auf dem Campingplatz Hain – diesmal endgültig Abschied nehmen von Judith und Arthur, die sich nach über zweieinhalb Jahren und dem Abschluss Ihres Panamericana-Abenteuers langsam an der Ostküste Argentiniens Richtung Montevideo zur Heimreise nach Europa auf den Weg machen.

Die Grenze zu Chile überqueren wir bei San Sebastian. Und bleiben jetzt erst einmal in Chile. Können also bei nächster Gelegenheit frische Sachen einkaufen ohne Angst haben zu müssen, beim neuerlichen Grenzübergang nach Argentinien alles abgenommen zu bekommen.

Auf halber Strecke nach Porvenir, an der Bahía Inutil, ziehen wir „rechts raus“ und campen wild mit einem tollen Blick auf den Sonnenuntergang über der Bahía (zwar immer noch erst gegen 23 Uhr aber immerhin).
Den Namen hat übrigens Magellan diesem extrem lang gestreckten Meerbusen gegeben: auf seiner Suche nach einem Durchgang zwischen Atlantik und Pazifik stieß er nach Tagen des Segelns auf das Ende dieser zuerst Hoffnung versprechenden Sackgasse. Also wieder raus und woanders weiter suchen. Daher „unnütze oder nutzlose Bucht“.

Im chilenischen Teil Feuerlands finden sich in regelmäßigen Abständen kleine Refugios am Straßenrand. Zuerst dachten wir, es handelt sich um Bushaltestellen (doch welche Buslinie fährt hier wohl?). Weit gefehlt. Kleine Tinyhouses mit Koch- und Schlafgelegenheit laden die abends müden Überland-Radfahrtouristen ein, die windigen Nächte zu verbringen.

Durch ein Meer aus blühenden Lupinen erreichen wir Porvenir, ein kleines Hafenstädtchen an der Westseite Feuerlands und buchen die Fähre nach Punta Arenas für 20:30 Uhr; vertreiben uns die Zeit bis dahin mit einem ausgiebigen Stadtbummel und warten dann am Leuchtturm mit Blick auf die Magellanstraße, bis es Zeit zum Boarden ist.

Nach einer tollen und – wie könnte es anders sein – windigen Überfahrt mit Walen und springenden Delphinen rund um die Fähre, kommen wir um 23 Uhr in Punta Arenas an. Wir sind ein bisschen wehmütig, denn mit der erneuten Überquerung der Magellanstraße haben wir Terra del Fuego, das uns so gut gefallen hat, wieder verlassen. Campingplätze gibt es in der Stadt keine und so stellen wir uns zusammen mit Anja und Uli auf einen Parkplatz neben einem Kinderspielplatz der in iOverlander von anderen Campern als geeignete Übernachtungsstelle beschrieben wurde. Wir sind schon im Schlafanzug, als wir Besuch von zwei Municipal-Wärtern bekommen – die sperren die Tore zum Parkplatz über Nacht zu und wir müssten eigentlich raus. Der Überzeugungskunst von Christian und einer kurzen „Hausführung“ sei Dank, wir dürfen stehen bleiben. Wir werden quasi sicher eingeschlossen und die Herren sorgen sich noch, ob wir auch richtig im Wind stehen, damit uns nichts passiert.

Auch die Chilenen sind sehr nett!

In Punta Arenas besorgen wir uns chilenische SIM-Karten, um wieder am world-wide-web teilnehmen zu können, probieren ein angeblich preisgekröntes Choripan mit Bananenmilch (an dem Kiosk stehen die Leute Schlange) – naja, wir hatten was anderes erwartet – und besuchen den Friedhof „Sara Braun“. Ähnlich wie der Friedhof La Recoleta in Buenos Aires, nur in klein und viel bunter. Hier findet im Unterschied zu La Recoleta nämlich immer noch „Leben“ statt (kann man das so sagen?); viele Gräber und Mausoleen sind mit frischen Blumen im Andenken an die schon vorausgegangenen Angehörigen geschmückt und bepflanzt und verleihen diesem Ort des Gedenkens eine sehr „lebendige“ und farbenfrohe Atmosphäre.

Die Weiterfahrt nach Puerto Natales, dem Tor zum berühmten Torres del Paine Nationalpark, ist eher unspektakulär. Viel mehr als Hotels für Tagestouristen, viele Restaurants und fast noch mehr Outdoorausstatter und -veranstalter hat der Ort nicht zu bieten. Es ist sonnig, aber sehr windig und nach einem Besuch in der Touristinfo übernachten wir direkt am Wasser in der Nähe des Fischereihafens.

Es sind nochmals 150km Fahrt in den Park, je weiter wir kommen desto besser wird das Wetter und Nachmittags kommt sogar die Sonne raus. Wir stehen am Parkplatz des Wanderweges zum Fuß der Las Torres, mit irrem Blick auf die „Türme“, die dem Nationalpark seinen Namen geben. Fast schon dramatisch stechen die cuernos und die torres (also die Hörner und Türme), des aus Vulkanschichten, Granit und Kalk bestehenden Gebirges in die Höhe.
Und plötzlich ist T-Shirt-Wetter – nach den Wochen in Anorak eine ganz schöne Umstellung! Morgen „geht´s auffi“.

7 Uhr mühevolles Aufstehen (wir sind echt Langschläfer geworden), 8.15 Uhr geht es los zum Mirador de Las Torres. Auf Wegen, die sicher nicht den Standards des deutschen Alpenvereins entsprechen, schlängeln wir uns gut gelaunt die ersten dreieinhalb Stunden entlang eines Bergflusses hinauf (und zwischendurch leider immer mal wieder etwas hinab).

Wir durchwandern verschiedene Vegetationsgürtel auf dem Weg in die Höhe. Zuerst noch vom magellanischen Wald mit seinen Südbuchenarten dominiert, über Strauchgewächszonen (typisch hier: Berberitze und der Calafate-Strauch) bis über die aus Moosarten bestehende und mit Dotterblumen- und Fingerhutblüten besternte Tundra Magellánica hinaus.

Am paso de los vientos (dem windigen Pass) müssen wir selbst bergab gegen den Wind in gebückter Haltung nach vorne kämpfen. Brotzeit und Durchatmen an der Torres-Rangerstation für den letzten Aufstieg. Und der ist der Knaller…über eine Stunde brauchen wir für den letzten Kilometer (1km), immerhin gilt es nochmal fast 300 Höhenmeter zu erklimmen!
Nach etwa viereinhalb Stunden stehen wir am Fuße der Torres del Paine oberhalb der Baum- und Strauchgrenze am Rand einer wunderschön grünglitzernden Lagune. An den Hängen strömt das Schmelzwasser der in dieser Höhe vom letzten Winter noch verbliebenen Eis- und Schneefelder herab. Und unser erster Condor gleitet scheinbar mühelos im Aufwind. Leichter Niesel fällt aus den Wolken um uns herum; kein Problem, trocknet im Wind sofort wieder. Der Ausblick und das Gefühl „es geschafft zu haben“, entlohnen für die schweren Beine. Nicht umsonst wird dieser Weg auch „Torres del Pain“ genannt; was augenzwinkernd mit „Türme der Schmerzen“ übersetzt werden kann.
Von hier oben sehen wir über Täler, Flüsse und grandiose Seen, die über den Río Paine jeweils miteinander verbunden sind. Zum Höhenausgleich unterbrechen Wasserfälle diese riesige Seenplatte, deren Farbspektrum der Auslage eines Juwelenladens Konkurrenz machen könnte.
Der Weg ist Teil eines 7-Tage-Langstrecken-Wanderweges (dem sog. O-Trek; weil er sich wie ein „O“ um das Paine-Bergmassiv schlängelt; die kürzere 5-Tages-Teilvariante wird als W-Trek bezeichnet). In jeweils Tagesetappen-Entfernung gibt es für die Wanderer bewirtete refugios (ähnlich den Berghütten in den Alpen) zum Übernachten und Essen. Aufgrund ihrer abgeschiedenen Lage können die Hütten nur mit von Gauchos angeführten Pferdekarawanen versorgt werden. Wir sind erstaunt über die Trittsicherheit dieser uns überholenden Tiere auf dem mit z.T. großen Steinen übersäten Geröllwegen.

So, und jetzt das Ganze retour. Nach 9 Stunden kommen wir glücklich aber ganz schön geschafft wieder zurück zu unserem PuCe, kurz kochen und essen, dann fallen wir ins Bett – alles tut weh; wir sind doch ganz schöne Couch-Potatoes geworden…

Die nächsten Tage richten wir uns am Campingplatz am Lago Pehoe gemütlich ein. Von dort gehen kurze Wanderwege ab zu viel verspechenden Punkten wie z.B. Mirador Condor. Nur leider haben die das Memo nicht erhalten, dass wir kommen. Ohne Kondore gesehen zu haben, geht’s wieder runter zum See.

Ein anderes Highlight haben wir uns für den Schluss aufgehoben. Die Wanderung zum Glaciar Grey, dem Grey-Gletscher. Von Nordwesten schiebt sich der Glaciar Grey aus dem Campe de Hielo Sur, dem südlichen Eisfeld, in den Park. Auch für den Gletscher muss das Feierabendbier erst verdient werden. Um zum Ausgangspunkt dieser Wanderung zu kommen, überqueren wir den Lago Pehoe mit einem Schnellboot auf einer halbstündigen Fahrt zum Refugio Paine Grande. Jetzt liegen wieder ca. 4 Stunden strammer und in jeglicher Hinsicht abwechslungsreicher Marsch zu einem guten Aussichtspunkt auf den Gletscher vor uns.

Eindrucksvoll und majestätisch ergießt sich der fast 30km lange Gletscher um eine Insel herum in den Lago Grey. Wir können bei Sonnenschein den gesamten Gletscherverlauf vom oberen Eisfeld bis hin zu der 6 Kilometer breiten und bis zu 30 Meter hohen Gletscherzunge überblicken. Auf dem Weg finden wir in windgeschützten Senken ganz traumhafte Gebiete mit jeweils eigenem, z.T. sehr warmen Mikroklima. Teppiche von blühenden Fingerhüten werden von Hummeln fleißig umsorgt, Gräser stehen fast hüfthoch und die Luft ist angenehm sommerlich.
Genau wie der Mitreisende auf dem gelben Wagen, wollten wir gerne noch verweilen, jedoch wird heute Nachmittag das Boot wieder pünktlich ablegen. Mit oder ohne uns. Also rufen wir „ade ihr Lieben, die ihr noch bleiben wollt; gern wär´ ich selbst noch geblieben, aber…“.

1 Kommentar zu „Von Ushuaia in den Torres del Paine Nationalpark“

  1. Es ist jedes mal wieder schön eure eindrucksvollen, detailreichen Berichte zu lesen. Mit dem perfekten Mix aus Entdeckung und Entspannung. Danke dafür.
    Und wir fühlen uns um Jahre zurück versetzt und kramen gerade in unseren Erinnerungen…. Wir sind schon gespannt was Euch nun auf eurer weiteren Reise in El Chalten und vermutlich auch El Calafate erwartet. 😃
    Fühlt Euch lieb gedrückt von uns allen.

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