Von Bonito Richtung Foz do Iguaçu


Ameisenbärenstraße und adeus Tropen

Nachdem wir Cesar und Lisandra in Bonito „Adeus!“ gesagt und ihre Wünsche für eine sichere Reise eingepackt haben, erreichen wir nach gut zwei Stunden kurz hinter Aquidauana die Ruta 419, die Ameisenbären-Straße – auch anteater road genannt. Ihr wollen wir in den nächsten Tagen nach Norden folgen.

Die ersten Kilometer spulen wir auf Asphalt ab, bevor uns wenig später der für diese Region typische rote Sand wieder ums Auto weht. Links und rechts der Piste vor dem Hintergrund einer steil aufragenden Gebirgskette erstrecken sich die Weideflächen der teils riesigen Faziendas; und doch gibt es noch genügend ungestörten Lebensraum für viele wilde Tiere. Wahrscheinlich kommen auf den großen Weiden und in den dazwischen gesprenkelten, dschungelartigen Waldflächen bis auf den jährlichen Viehtrieb sowieso kaum störende Menschen vorbei.

Die Piste ist zwar in ganz passablem Zustand, doch immer wieder müssen wir durch weiche Tiefsandpassagen und über wackelige und ächzende Holzbrücken.
Froh, dass unser PuCe über Allrad – und für den Notfall auch über drei Differentialsperren – verfügt, meistern wir auch diese Herausforderungen mit einem Lächeln auf den Lippen. Nur bei der einen oder anderen altersschwachen, baufälligen Brücke über ein Flüsschen oder einen Sumpf haben wir kurzzeitig die Luft angehalten.
Auf den ersten Blick machen die Unterkonstruktionen zumeist einen soliden Eindruck, doch die dicken, hölzernen Tragpfeiler stecken im Sumpfgrund und genau an dieser Stelle sind sie oftmals fast gänzlich verrottet. Die „Schlimmsten“ (und natürlich nur da, wo es geht) versuchen wir, über schon gespurte Seitenwege zu umfahren.

Wir haben das große Glück während der nächsten beiden Tage viele tolle, bunte Vögel, u.a. mehrere Tukane mit ihren markanten, gelbroten Schnäbeln, und Pantanal-Hirsche beobachten zu können. Die Highlights während unserer Pirschfahrten am frühen Morgen und kurz vor Sonnenuntergang waren aber tatsächlich die Ameisenbären und die Tapire.
Die großen Tapire, die wir bisher nur aus dem Zoo kannten, erscheinen uns wie eine Mischung aus Ameisenbär, Pony und Schwein…von allem ist etwas dabei.
Laut Fachliteratur sind ihre nächsten Verwandten allerdings Nashörner und Pferde; waren wir doch gar nicht so schlecht mit unserer Pony-Idee. Und da es zwischen den beiden Arten keine Futter-Konkurrenz gibt (Tapire sind im Gegensatz zu den insektenfressenden Ameisenbären nämlich Vegetarier), stört sich auch keiner am anderen.

Am Ende zählen wir drei große Ameisenbären und drei Tapire, die sich für unsere Fotos in Pose geworfen haben. Wir sind super-happy; vor allem, da diese Tiere eigentlich in ihren mehrere Quadratkilometer großen Territorien Einzelgänger sind. Mehr zu erwarten, wäre fast schon unflätig.

Für die Nacht machen wir es uns direkt neben der Piste an einer Farmzufahrt in einer kleinen Ausbuchtung unter einem faszinierenden Sternenhimmel gemütlich. Es ist so unglaublich ruhig und still, dass wir jedes Rascheln im Unterholz hören können. Leider zeigt sich uns keiner dieser „Störenfriede“.

Nach dem ersten „Game-Drive“ des Tages beschließen wir die größte Mittagshitze – heute hat es immerhin 35°C – bei einer ausgedehnten Siesta auf einer Nebenpiste, die zu einer anderen Fazienda abzweigt, zu verdösen. Wir werden dann aber kurze Zeit später von dem freundlichen Farmer gebeten, ein paar Hundert Meter weiterzuziehen. Nicht weil er uns auf seinem Grund und Boden nicht haben will, sondern weil bereits ein Gaucho-getriebener Viehtreck mit mehreren hundert Kühen auf dem Weg hierher sei und wir mit unserem Dicken den Durchmarsch der Zebus zu ihrer Winterweide blockieren würden. Kein Problem. Wir sehen tatsächlich schon eine näher kommende Staubwolke. Also flugs zusammengepackt und 500 Meter weiter wieder ausgepackt.
Ein vorbei fahrender LKW hat uns dann später noch richtig eingestaubt…

Bevor wir vor São Gabriel do Oeste wieder Asphalt unter die Räder bekommen, wird es noch einmal richtig rau und ruppig. Nur langsam geht es voran und bei Anbruch der Dämmerung lassen wir es daher unter einem riesigen Gummibaum für heute gut sein. Als es schon dunkel ist, klopft ein junger LKW-Fahrer an die Tür und empfiehlt uns, doch noch 10 Kilometer weiterzufahren und auf dem Hof einer großen Tankstelle zu übernachten. Die Gegend hier sei nicht die sicherste. Zu nah ist die Grenze zu Paraguay und damit ein Spielplatz der Drogenkuriere, die in der Nacht gern auch diese Route nutzen würden. Wir bedanken uns ebenso freundlich und bleiben trotzdem.
Bei Dunkelheit auf der sandig-steinigen Piste fahren wir sicherlich nicht mehr weiter.
Alles blieb ruhig, bis bei Sonnenaufgang der Verkehr der LKW-Viehtransporter wieder losging. Und das Bleiben war auch gut so, denn nur einen knappen Kilometer vor dem rettenden Asphalt passieren wir noch einen heillos im Tiefsand feststeckenden Sattelzug; Rettung ist schon zur Stelle. Die Bergeseile liegen ausgerollt bereit und wir wünschen mit „Daumen-hoch“ gutes Gelingen und viel Erfolg. Dieses „Loch“ hätten wir im Dunkeln niemals gesehen geschweige denn durchfahren wollen.

An dieser Stelle ein schnelles Wort zu „gefährlich“ bzw. „lauernden Gefahren“:

Neben den kleinen Schreckmomenten, die einem in einem neuen, fremden Land widerfahren können (sei es weil man die Sprache und Gesten noch nicht richtig versteht oder weil man sich aufgrund Unkenntnis der Regeln und Gebräuche in eine blöde Situation gebracht hat), gibt es unseres Erachtens tatsächlich nur eine echte, eine wirkliche Gefahr im südlichen Südamerika: die Duschköpfe!

In der Regel gibt es in den Häusern in Bolivien und Brasilien keine Heizung oder gasbetriebene Durchlauferhitzer zur Warmwasserbereitung. Daher werden in vielen Duschen elektrische Brauseköpfe eingebaut, die über ein frei fliegendes Kabel an das Stromnetz angebunden sind und durch eine Widerstandsheizung das durchströmende Wasser direkt über dem Kopf aufwärmen. So weit so (un-)gut.

Nur sind die Installationen, d.h. der Stromanschluss, mehrheitlich, diplomatisch ausgedrückt, so unfachmännisch ausgeführt, dass wir mehr als einmal beim Duschen starkes Kribbeln – bei uns zuhause sagt man „Bitzeln“ – auf der Haut verspürt haben. Auch hat Christian beim Wasserzudrehen am metallischen Drehregler mal eine so richtig gewischt bekommen. Wo es geht meiden wir nun solche Stätten und duschen lieber „daheim“.

Mit einem krassen Schnitt verlassen wir die malerische Landschaft über eine sanfte Hügelkette, werden noch von bunten Papageien und Tukanen verabschiedet, bevor wir die Kornkammer Brasiliens betreten. Immense Felder, auf denen Mais, Soja, Quinoa und Zuckerrohr angebaut wird, dominieren den Süden des Landes. Auf wirklich gut ausgebauten Überlandstraßen bewegen sich hunderte LKWs, dicht an dicht, einem Lindwurm gleich den großen Fabriken entgegen, in denen die Rohstoffe für den Export, zu Tierfutter oder zu Industriealkoholen, z.B. Bioethanol, auf- und verarbeitet werden.

Nach den Tagen und Wochen in beeindruckender Flora tränen uns fast die Augen, was hier der Natur angetan wird…
Brandrodung, riesige Monokulturen, kein Dschungel bzw. Wald ist mehr vorhanden. Alles für die Versorgung einer stetig wachsenden Menschheit geopfert. Und doch nehmen wir es am anderen Ende der Welt für selbstverständlich, dass in unseren Geschäften die Regale stets mit ebendiesen Produkten gefüllt sind.

Still, weil jeder mit seinen eigenen Gedanken dazu beschäftigt ist, rollen wir gegen Mittag auf den kleinen, schnuckeligen Campingplatz „Recanto do Elo“ von Kaká und seiner Frau Elo (eigentlich Eluisa). Die Kommunikation ist anfangs etwas schwierig; portugiesisch können wir immer noch nicht. Ein Hoch auf den Google-Simultanübersetzer. Die zwei „Alten“ haben das schon öfter mit ihren internationalen Gästen gemacht und können uns daher noch ein paar Tricks bei der Nutzung dieses Tools zeigen. Und so klappt es dann doch ganz gut mit der Unterhaltung.

Wir wollen den Rest des Tages nutzen, um ein paar notwendige Arbeiten im, am und unter dem PuCe zu erledigen. Bei der Demontage des Luftfilters fällt Christian der ölverschmierte Motor auf. Ein Ölschlauch hat einen großen Riss; wahrscheinlich von den endlosen Rüttel-Kilometern auf den teils echt schlechten Ripio-Pisten. Ein schneller Blick auf den Ölpeilstab nimmt uns den größten Schrecken. Wir haben nur wenig Öl verloren. Muss wohl „gerade eben erst“ passiert sein.

Provisorisch wird der Riss mit einem selbstverschweißenden Reparaturtape geflickt. Ob das dem Druck und der Temperatur in der Leitung standhalten wird, werden wir wohl nie erfahren, denn:
Kaká setzt alle in Hebel in Bewegung und telefoniert. Erst mit der Mercedes-Benz-Niederlassung im 40km entfernten Campo Grande, die uns aber nicht wirklich helfen will. Fragen ständig nach Teilenummern, Motor- und Chassisnummer, „diesen Wagentyp gibt es in Brasilien nicht“, etc.. Dann mit seinen Kumpels. Und tatsächlich kommt am nächsten Tag (es ist Samstag) ein Mechaniker nebst Frau und Sohn mit seiner mobilen Werkstatt zum Campingplatz, schaut sich das Malheur an, baut den kaputten Schlauch aus, verschwindet wieder, um dann nach etwa drei Stunden mit einem Ersatzschlauch, neuen Schlauchschellen und genügend Öl zum Nachfüllen erneut aufzutauchen. Flavio, so sein Name, muss noch eine kleine Modifikation am Schlauch vornehmen, denn der will so gar nicht über die Anschlussmuffe rutschen: mit einem Flammenwerfer aus einer WD40-Spraydose wird der Schlauch an einem Ende erhitzt, etwas geweitet und somit „gefügig“ gemacht. Danach geht alles Ruck-Zuck. Kaum eine halbe Stunde später blubbert der Motor schon wieder…dicht!

Wie wir später von seiner Elo erfahren werden, hatte Kaká eine ziemlich schlaflose Nacht, weil nervös und besorgt um unsere sichere Weiterreise. Auf diese gelungene Reparatur stoßen wir abends alle zusammen erleichtert mit einem Glas Rotwein und leckerer, von Elo selbstgemachter Pizza an.

Für die nächsten Tage ist Regen gemeldet und wir wollen die kommenden grauen Tage nutzen, um Strecke zu machen. Bis zu den Iguaçu-Wasserfällen sind es immerhin noch etwa 800km. Herzlich werden wir von dem zauberhaften Paar verabschiedet; sogar Brad Pitt, der Hauspapagei, kommt nochmal auf Patricias Schulter vorbei. Insgesamt 3 Tage werden wir für die Strecke bis Foz brauchen. So kürzen die Brasilianer den Namen der Wasserfälle und der gleichnamigen Stadt ab: Foz do Iguaçu. Bedeutet in der Sprache der Ureinwohner: „Mündung des großen Wassers“. Entlang der Ufer des aufgestauten Río Paraná geht es im Regen nach Süden. Nicht schlimm, nur wird unser Auto vom Wasser leider nicht sauberer sondern vom aufgewirbelten Sandstaubmatsch nur noch röter. Irgendwann müssen wir wirklich mal in eine Waschanlage…ist ja kaum noch vorzeigbar.

Und weil wir gerade vom Fahren erzählen. Noch eine weitere Gefahr gibt es hier in Südamerika; allerdings für die Autos. Und damit meinen wir nicht die zum Teil wilden Fahrstile der Bolivianer, die uns das Adrenalin in die Adern haben schießen lassen. Nein, es geht um die „Topes“. Im Beamtendeutsch „Tempohemmschwelle“ genannt; also zum Erzwingen einer Geschwindigkeitsreduzierung. Eine andere Übersetzung trifft es unserer Meinung nach besser: „Prellbock“. Denn so fühlt es sich tatsächlich an, wenn man die Geschwindigkeit nicht auf ein Minimum runterbremst und unsanft und abrupt in die Luft katapultiert wird. Nicht sanft und geschmeidig sind die Rampen hinauf und hinunter ausgeführt, sondern hoch und steil.

Die Südamerikaner, und vor allem die Brasilianer, haben den Einsatz dieser Instrumente zur Verkehrsberuhigung zur Kunstform erhoben. In den meisten Fällen werden die Dinger angekündigt (spät zwar, aber immerhin). Weniger oft schon sind sie zur besseren Erkennbarkeit dann auch noch farbig (gelb oder weiß) angepinselt. Und wenn die Schilder und die leuchtende Farbe fehlen, ist es v.a. bei Dämmerung oder bei Sonnen-Schatten-Wechsel wirklich schwer, sie rechtzeitig ausfindig zu machen und abzubremsen. Eigentlich hilft da nur der vorausfahrende Verkehr; bremsende und plötzlich hoppelnde Autos sind ein guter Warnindikator. Uns hat es schon ein paar Mal erwischt. Mit einem Knall im Fahrwerk hebt sich zuerst der Bug und dann in beeindruckender Manier das Heck in die Höhe…und in den Schränken hinter uns scheppert es gar fürchterlich. Also immer schön konzentriert den Blick auf der Straße behalten.

Auf dem Weg passieren wir erneut den Wendekreis des Steinbocks (tropic of capricorn) und verlassen somit ganz offiziell die Tropen…wie schade; hatten wir doch ganz herrliche Erlebnisse oberhalb des 23. Breitengrades.

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