Vom Tal des Río Maule nach Santiago de Chile


Pferde, Wein, Küste und Hauptstadt

Schon unsere Anfahrt zum Campingplatz Sol y Sombra (Sonne und Schatten) in Rarí ist ein kleines Erlebnis. Am Ende einer Ripio-Nebenstrecke hinter dem Dorf geht es durch ein schmales Tor nochmal einige hundert Meter Richtung Fluss, der am Campingplatz vorbeifließt. Wir massakrieren ein paar tiefhängende Äste und müssen zu guter Letzt noch ein Stromkabel mit einem Rechen nach oben halten; PuCe ist einfach höher als der Durchschnittsbesucher. Für die Leute am Platz aber alles kein Problem. Bienvenido, hierher (abseits der Hauptroute) verirrt sich scheinbar nur selten ein ausländischer Tourist – und schon gar nicht unsere Art Fahrzeug.

Kolibris schwirren um uns herum, Pferde grasen auf dem Anwesen; wir stehen idyllisch am Fluss, genießen die Sonne und essen nach langer Zeit endlich wieder draußen zu Abend. Da es Mitte März bereits Nachsaison ist, sind wir die einzigen Übernachtungsgäste auf dem Gelände.

Den Sonntag verbringen wir mit relaxen, LKW abschmieren, Fenster putzen, lesen, sonnen und im Pool baden. Am Nachmittag haben uns dann Maurizio und sein kleiner Sohn Marco angeboten um 19 Uhr mit zum Sundowner-Ausritt zu kommen. Natürlich sind wir dabei!



Gemeinsam satteln wir die Pferde und zu viert machen wir uns auf den Weg. Patricia mit Bambi, Christian mit Fiocho, Marco, Maurizio und nicht zu vergessen der Dackel Polli – die Salsiccia, die auf ihren kurzen Beinen todesmutig zwischen den Pferden hindurch wuselt.
Jetzt sind wir nicht die geübtesten Reiter. Manche würden uns attestieren, dass wir wie nasse Säcke auf den Rücken der geduldigen Rösser hängen. Aber wir sind fest davon überzeugt, uns wacker geschlagen zu haben. Maurizio spielt von seinem Handy Westernklassiker ab und filmt unseren Ausritt – wir haben riesig Spaß und einen fantastischen Ausblick auf einen malerischen, romantischen Sonnenuntergang. Im vollen Vertrauen, dass die Pferde allein den steinigen Weg zurück zu ihrer Weide finden, trotten wir im Stockdunkeln den Berg wieder hinab.

Zum kulinarischen Abschluss, nachdem die Pferde versorgt sind, teilt Maurizio noch eine melon mit uns, eine Monsterhonigmelone, die mit harina tostada, geröstetem Weizenmehl, bestreut gegessen wird. ¡Que rico!
Achtung: melon = Honigmelone, nicht zu verwechseln mit Wassermelonen; die heißen hier sandias.

Ein – nach eigenen Aussagen der Einheimischen – weltbekannter (!) Exportschlager des kleinen Dörfchens Rari ist die Pferdehaar-Weberei, die artensanía crin. Dieses mühsame, alte Handwerk wird in Chile nur noch hier in Rari von den alten Omas fortgeführt. Dafür wird das dünne Pferdeschwanzhaar gereinigt und gefärbt, um dann mit Engelsgeduld und Fingerfertigkeit zu kunstvollen kleinen Deko-Objekten verwebt zu werden, die die Anmut und Filigranität von Spinnennetzen haben. Maurizio beschenkt uns mit zwei roten Crin-Wachsglocken-Blüten; „copihue“ ist die Wappenblume Chiles.

Bei der entspannten Abfahrt von Maurizio am späten Vormittag Richtung Maule-Tal rupfen wir die restlichen bei der Anfahrt noch übriggebliebenen Äste von den Bäumen. Und immer noch: ¡no problema!

Wenige Kilometer oberhalb von Rari biegen wir Richtung Osten in das Tal des Río Maule ab. Ein karges, steiniges Andental, das von dem Bergfluss ausgewaschen wurde, der zu dieser Jahreszeit eher gemächlich durch die Schluchten plätschert. Während der Schneeschmelze im Frühjahr allerdings…olala…

An einer kaputten Brücke zwischen zwei Flussarmen finden wir gegenüber von Amerillo unseren Übernachtungsspot. Vor einigen Jahren hat es hier so stark gestürmt und geregnet und der Fluss ist dermaßen angeschwollen, dass viele Brücken entlang des Tals stark beschädigt oder sogar weggeschwemmt wurden. Bisher wurden nur die wichtigsten für den Transitverkehr wieder instand gesetzt.

Für uns schlängelt sich die Straße weitere 60 km tief ins Maule-Tal Richtung Grenze; oben, am Ende des Tales befindet sich ein Grenzpass hinüber ins Nachbarland Argentinien mit Anschluss an Junin de los Andes und Bariloche, der Paso Maule o Pehuenche. Je weiter wir kommen, desto enger wird das Tal und desto höher geht es auch. Wir sind in einem Bergbaugebiet gelandet. Links und rechts der Straße werden große Minenschächte in den Berg getrieben; seit etwa 10 Jahren wird hier Gold und Zeolith abgebaut. Und so verwundert es nicht, dass die meisten Autos, die die steile Straße rauf- und runterbrettern, in irgendeiner Form zu den Bergbauunternehmen gehören.

Unser Ziel, die Cascada La Invertida und die Saltos del Maule, befinden sich in luftigen 2000m Höhe.

Die Cascada La Invertida ist eine verrückte Laune der Natur. In einem Windkanal gelegen, werden die in die Tiefe stürzenden Wassermassen hinter der Abbruchkante wieder nach oben aufgewirbelt und so entsteht ein „umgekehrter Wasserfall“. Zu nahe darf man der Cascada allerdings nicht kommen, sonst wird man pitschnass und glitschig ist es auch noch (= gefährlich, so nahe an der Kante).

Nach einem schönen Spaziergang machen wir uns auf die Rückfahrt Richtung Talca, wo wir am nächsten Morgen bei der Mercedes-Niederlassung einen Werkstatttermin haben. Inspektion und Ölwechsel für PuCe, Haare schneiden für uns beide.

Auf unserer Fahrt durch das Weinbaugebiet im Valle Calchagua sehen wir die in dieser Jahreszeit typische Aktivität. Weinlese überall. Erntehelfer bevölkern die Weinfelder, große Trucks fahren die gelesenen Trauben in riesigen Bottichen zum Keltern zu den Weingütern. Zu den vorherrschenden Sorten gehören Malbec, Merlot, Cabernet Sauvignon und Sauvignon Blanc. Auch viele Namen der hiesigen Weingüter sind uns ein Begriff…aus dem heimischen Weinhandel. Nun sehen wir live und in Farbe, wo und wie der Wein, der bei uns daheim manchmal auf den Tisch kommt, hergestellt wird.

Einige Weingüter öffnen ihre Tore auch für Führungen und Verkostungen. Wir entscheiden uns für die Viña Víu Manent bei Santa Cruz. Vor der Führung durch die Geschichte des in den 1930er Jahren gegründeten Weingutes gönnen wir uns einen leckeren Kaffee und frischen Obstkuchen im Gutscafé. Mittlerweile in der dritten Familiengeneration geführt, produziert Víu Manent gewaltige 4 Millionen Flaschen jährlich (hauptsächlich Rotwein) auf etwa 260 Hektar Anbaufläche sowohl im flachen Valle Calchagua als auch auf Ländereien näher an der bergigen Pazifikküste. Über 80% für den Export, mit China als Hauptabnehmer.

Als kleines touristisches Schmankerl werden wir mit einer Kutsche gezogen von 2 Bierbrauerpferden (oder besser Weinbauerpferden) über einen Teil der nahen Weinfelder gefahren. Wir sind 8 Teilnehmer bei der Führung; 2 brasilianische Pärchen, ein Paar aus Guatemala und wir. Alle brennen auf die nun folgende Verkostung im großen Saal des edlen Weinguts. 4 rote und einen Weißwein dürfen wir probieren. Keiner von uns nimmt den bereitgestellten Eimer in Anspruch. Viel zu gut sind die Tropfen, um sie wieder auszuspucken. Zwei Weine sprechen uns an…gab´s natürlich gleich im Anschluss im Geschäft nebenan zu kaufen. Anfangs noch etwas steif und etepetete wurde die Stimmung mit jedem neuen Glas redseliger bevor am Ende alle Flaschen geleert und wir dafür ein bisschen voller waren.
An Weiterfahrt war natürlich nicht mehr zu denken, und so durften wir netterweise auf dem Mitarbeiterparkplatz gleich hinter dem Gutshaus unser Nachtlager aufschlagen.

Valle Calchagua
Viña Víu Manent
Fahrt in der Kutsche

Mit jedem Kilometer nach Norden wird es wärmer; tagsüber schon fast wieder 30°C. Herrlicher Spätsommer. Und so geht es weiter an die bergige Pazifikküste nach Pichilemu, ein Paradies für Wellenreiter. Riesige Wellen branden an diesem Teil der Küste an den Strand. Überall dümpeln die Surfer auf ihren Brettern im Meer und warten auf eine günstige Gelegenheit, die beste Welle abzureiten. Pichilemu hat sich zum „capital mundial del surf“, also zum Surfnabel der Welt, erkoren. Selbstbewusst sind sie ja, die Pichilemuten.

Wir spazieren ausgiebig den langen Strand rauf und runter, beobachten, wie die Fischer ihre Boote bei Flut vom Strand ins Meer schieben, wieder einholen und nach getaner Arbeit ihren frischen Fang direkt am Strand in kleinen Buden verkaufen, essen auf einer schönen Terrasse mit Blick auf das Meer. Maximilano, einer der örtlichen Hotelbetreiber, ist nach einer Hausbesichtigung so von unserem PuCe begeistert, dass er es unbedingt am Ende unserer Reise in Montevideo abkaufen möchte. Á ver…wir werden sehen.

Nun sind wir nur noch eine knappe Tagesreise von Santiago de Chile entfernt. Die Fahrt geht durch Obstbauplantagen so weit das Auge reicht. Viele kleine Flüsschen durchziehen diesen fruchtbaren Landstrich. Und wie in Pichilemu die Fischer verkaufen auch hier viele Obstbauern ihre Erzeugnisse direkt an der Straße. Gereift in der Sommersonne schmeckt das frisch geerntete Obst und Gemüse einfach fantastisch. Mit Erdbeeren, Tomaten und einem großen Sack Orangen erreichen wir ca. 30km vor Santiagos Centro, im Stadtteil Maipu, den entspannten Campingplatz La Izuelina von Matiás.

Wir fühlen uns gleich gut aufgehoben, die Leute sind sehr nett, es hat Superwetter und einen einladenden Pool. Unsere latente Sorge, in Stadtnähe einen sicheren Stellplatz für mehrere Tage zu finden, wandelt sich augenblicklich in große Erleichterung. Mit diesem guten Gefühl beschließen wir: es ist Zeit für eine Reisepause und wir werden über Ostern hierbleiben, alles mal gründlich sauber machen und die Akkus wieder aufladen.

Im Laufe der nächsten Tage treffen wir alte Reisebekannte die auch den Weg hierher gefunden haben (Petra & Elmar aus Bonn, Anja & Uli aus der Antarktisgruppe), und lernen Neue kennen (Sibylle & Hermann aus der Schweiz und Louisa & Syo mit ihren ihren zwei Jungs Lion & Sammi aus Leipzig). Eine tolle Gruppe für ein schönes Osterfest.

Nach drei Tagen Durchatmen und Seele baumeln lassen ubern wir morgens um 9 Uhr vom Campingplatz ins quirlige Zentrum von Santiago und besichtigen zuerst auf eigene Faust rund um den lebhaften Mercado Central, später mit einer von dem Guide Carlos geführten Walking-Tour die Metropole.

Santiago de Chile ist bekanntermaßen die Hauptstadt und zugleich die größte Stadt Chiles mit um die 6 Millionen Einwohnern, in einer atemberaubenden Lage zwischen den Anden und dem Pazifik. Die Stadt bietet eine faszinierende Mischung aus moderner Architektur und historischen Gebäuden.
Leider blieben nur wenige Bauten aus der langen Geschichte der Stadt insbesondere aus der spanischen Kolonialzeit intakt, da die Stadt – wie der Rest des Landes auch – regelmäßig von starken Erdbeben heimgesucht wird. Zu den erhaltenen Gebäuden aus dieser Zeit zählt unter anderem die burgunderrot gestrichene Iglesia de San Francisco im Barrio París-Londres. Ein Stadtviertel, in dem Ende des 19. Jahrhunderts versucht wurde – wie der Name schon andeutet – die Mondänität Londons und Paris‘ zu kopieren, um damit europäische Bürger und Intellektuelle nach Südamerika zu locken. Und sicher auch, weil zu dieser Zeit europäischer Schick einfach „in“ war.
Zu den Highlights gehören der Plaza de Armas, der zentrale Platz der Stadt, mit der Catedral Metropolitana und dem Correo Central, dem ehemaligen Hauptpostamt.

La Moneda, der klassizistische Präsidentenpalast, der bis 1981 noch die Einschüsse zeigte, die General Pinochets Truppen beim Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende 1973 hinterlassen hatten, findet sich am Plaza de la Constitución. Das Gebäude entstand zwischen 1784 und 1805 nach Plänen des Architekten Joaquín Toesca und fungierte ursprünglich als Münzprägeanstalt. Seit 1846 ist der Präsidentenpalast Sitz der Regierung des Landes.

Weiter geht es zur Plaza Montt. Dort steht das Gebäude des Justizpalastes (Palacio de Tribunales). Das Bauwerk entstand zwischen 1907 und 1926 nach Plänen des Architekten Emilio Doyére und ist Sitz des Obersten Gerichtshofes (Corte Suprema de Justicia). Das Kollegialgericht mit 21 Richtern ist die höchste richterliche Gewalt in Chile. Die zukünftigen Richter werden von den amtierenden Richtern des Obersten Gerichts vorgeschlagen und vom Präsidenten auf Lebenszeit ernannt.

Wir sind sehr froh, die Stadtführung gemacht zu haben. Uns wäre sonst viel Geschichte zur Stadt, deren Weg in die Neuzeit und vor allem die kleinen, etwas versteckt liegenden Schönheiten entgangen. Ganz nebenbei hat uns Carlos auf ganz wunderbare Weise auch die Entwicklung Chiles als multiethnisches Konglomerat mit seinen ganz speziellen Herausforderungen und Auswirkungen auf die heutige Gesellschaft nahegebracht. Chile, und Santiago im Besonderen haben alle Mühe, dem riesigen Zustrom von Einwanderern aus Kolumbien, Venezuela und Bolivien während und nach der Corona-Pandemie Herr zu werden und diese Massen in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Viel zu viele blieben arbeitslos und verdingen sich als illegale Billigwaren-Verkäufer auf den Straßen der Hauptstadt, was auch den rapiden Anstieg der Kleinkriminalität und in deren Folge das in dieser Hinsicht überaus schlechte Image der Stadt erklären kann.

Ferner wissen wir jetzt auch aus erster Hand, warum die Chilenen, besonders im Zentrum des Landes, im ersten Eindruck etwas „mufflig“ und zurückhaltender als andere Südamerikaner wirken. Ständig galt es, in Alarmbereitschaft zu sein, sich gegen Bedrohungen von außen zu erwehren. Zuerst drückten die kriegerischen Mapuches aus dem Süden bevor dann die Inkas aus dem Norden alles unter ihr bedingungsloses Joch zwängten. Zu guter Letzt kamen auch noch die Spanier, unterdrückten jegliche Selbstbestimmung und saugten das Land gnadenlos aus. Mit einem Augenzwinkern erklären die Chilenen bezüglich ihrer augenscheinlich „fehlenden Frohnatur“, dass anders als in z.B. Argentinien, wo viele Italiener und Spanier mit ihrer lebendigen und extrovertierten Art eingewandert sind, nach Chile hauptsächlich Deutsche und Österreicher gekommen sind. Und die sind ja bekanntlich ein bisschen anders!

Zum Abschluss der Stadtführung empfiehlt uns Carlos noch den Aufstieg hinauf zum Cerro St. Lucia mit seinem fast schon mittelalterlich wirkenden Schlösschen und seinen vielen am Berghang versteckten Treppen für einen Rundumblick über die Stadt. In der späten Nachmittagssonne können wir die Andengipfel am Horizont aufgrund der diesigen Luft zwar nur schemenhaft erahnen, dennoch bekommt man vor hier oben einen guten Überblick über die riesige Stadt.

Und es geht noch höher. Denn mit dem Gran Torre Santiago entstand ein modernes architektonisches Wahrzeichen der Hauptstadt. Der Wolkenkratzer ist mit seinen 300 Metern aktuell das höchste Gebäude Südamerikas und Teil des Costanera Centers. Und da wollen hin.

Die Aussichtsplattform auf dem Gran Torre, die Sky Costanera, ist eine Attraktion für die Besucher auf den Etagen 61 und 62. Sie wurde am 11. August 2015 eröffnet. In Windeseile katapultiert uns der Aufzug die 300 Meter hinauf und wir genießen am Ende eines langen Besichtigungstages mit einem Gläschen Wein in der Hand und Live-Musik im Hintergrund einen fantastischen 360°-Rundblick auf den Sonnenuntergang über der pulsierenden Stadt.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert