Ostern auf der Osterinsel



Es hat sich für uns eine Gelegenheit eröffnet, die nur ab Santiago de Chile möglich ist, weil nur von hier aus erreichbar: der Besuch der Osterinsel, der Isla de Pascua oder Rapa Nui, wie sie von den Einheimischen genannt wird.
Merke: es heißt Osterinsel (singular), da es nur eine Insel ist! Und sie gehört zu Chile…naja, die stolzen Einwohner Rapa Nuis denken da etwas anders drüber.
Bisher hatten wir nur eine vage Vorstellung von Rapa Nui aus unserem Chile-Reiseführer. Einige Reisebekanntschaften haben uns jedoch von diesem interessanten Reiseziel vorgeschwärmt und (seien wir mal ehrlich) die Bilder von den großen, imposanten Moai-Statuen sind schon beeindruckend.
Also was machen? Buchen! Es ist ja Ostern…und was passt besser zu Ostern als ein Flug auf die Osterinsel?
Am Ostersamstagnachmittag haben wir kurzfristig den Flug und das Hotel für eine knappe Woche Aufenthalt gebucht. Zwei Tage später, am Ostermontag, steigen wir nur mit Handgepäck beladen um 9:10 Uhr in Santiago ins Flugzeug und machen uns auf den langen Weg zur Osterinsel. Nach 5,5 Stunden Flug sind wir da – auf einem kleinen Südsee-Eiland, einem kleinen „Fliegendreck“ mitten im Pazifik setzt der große Dreamliner von LATAM zur Landung an. Dass die kleine Insel (nur 24km lang mal 13km breit) gewaltige 3700km vom chilenischen Festland entfernt liegt, war uns vorher so gar nicht bewusst.
Zum Vergleich: das ist in etwa die Strecke vom Nordkap nach Madrid oder von Los Angeles nach New York.
Und ganz nebenbei: Rapa Nui ist das am weitesten von der nächsten Zivilisation entfernte besiedelte Fleckchen auf unserer gesamten Erde.
Und warum heißt sie eigentlich Osterinsel? Fast auf den Tag genau vor 302 Jahren, genauer am 05. April des Jahres 1722, es war Ostersonntag, erreichte eine niederländische Expedition die Gestade der Insel. Ganz bestimmt sehr zur Freude der Bewohner… Und so wurde sie kurzerhand von den Europäern fortan Osterinsel getauft.
Beim Aussteigen merken wir gleich, dass wir hier einen weiteren Gang zurückschalten können. Alles, aber wirklich alles läuft nochmal viel entspannter und ruhiger ab, als anderswo. Gut gelaunt laufen wir übers Vorfeld zum Ankunftsgarten(!). Keine Halle, sondern ein palmenbestandener, schattiger Garten. Ganz nach Südseetradition werden wir mit Blumenketten behängt bei schönstem Wetter willkommen geheißen. „Iroana“, herzlich willkommen auf Rapa Nui. Der Transfer ins Hotel Nayara Hangaroa dauert nur kurze vier Minuten; die Insel ist wirklich klitzeklein.
Während des Nachmittags machen wir uns erst einmal mit unserer Umgebung im und rund ums Hotel vertraut. Organisieren die Ausflüge für die folgenden zwei Tage zu den bedeutendsten archäologischen Stätten der Insel, saugen die Südseesonne am Pool und der Poolbar auf und bummeln zum Abendessen in den Ort Hanga Roa. Frischer Fisch auf einer von der tiefhängenden Sonne beleuchteten Terrasse.
Und das Kurioseste: große Meeresschildkröten paddeln im Wasser direkt am Strand! Zuerst dachten wir, die hätten sich verschwommen oder wären in sonst einer Weise „komisch drauf“, weil sie so nah bei den Badenden (manchmal sogar zwischen den Leuten) die Algen von den Steinen abfressen, aber alle versichern uns, dass die Schildkröten hier zum Strandleben dazugehören.














Während der folgenden zwei Tage erkunden wir in einer kleinen Gruppe (alles Gäste unseres Hotels) angeführt von unseren Inselführern Toki und Ringo die vor ca. 3 Mio Jahren aus dem 3000m tiefen Pazifik hervorgequollene Vulkaninsel.
Natürlich sind wir in erster Linie hier, um die untergegangene Kultur der Rapa Nuis kennenzulernen.
Vor etwa 1500 Jahren fanden die ersten Siedler vom damals schon überbevölkerten Polynesien nach mehrwöchiger Fahrt auf Katamaran-Booten, die eher eine Reise ins Ungewisse war, auf dem Vulkanbrocken ein neues Zuhause. Ihre Boote ähnelten in ihrer Machart der Kon-Tiki, mit der Thor Heyerdahl und seine Crew Mitte der 1950er Jahre hier in der Anakena-Bucht angekommen sind. Die noch unbewohnte Insel wurde nach der glücklichen Landung kurzerhand auf den Namen „Te Pito o te Henua“ getauft, der „Nabel der Welt“.
Im fruchtbaren Vulkanboden gediehen die mitgebrachten Pflanzen schnell und üppig: Süßkartoffeln, Zuckerrohr, Bananen und vieles mehr. Die neuen Bewohner errichteten entlang der Küstenlinie ihre Siedlungen und begangen gemäß ihrer Tradition zu Ehren der altehrwürdigen Verstorbenen, v.a. für Familienoberhäupter und Stammesfürsten, Ahus anzulegen; rechteckige Plattformen, unter denen die eingeäscherten Überreste beerdigt und auf diesen dann die Standbilder, die sagenhaften Moais, gesetzt wurden.
Den Blick nicht auf die See, sondern zum spirituellen Schutz auf die jeweilige Ansiedlung gerichtet, waren die Moais (so heißen die Kopf-Statuen) zu Anfang, also im 5. Jahrhundert, noch klein und wirkten wenig lebensecht. Über die Jahrhunderte entwickelte sich ein regelrechter Kult und dann eine Religion um die in Stein gemeißelten Ahnen. Größer und größer wurden die Köpfe. Die größte, jemals aufgestellte Statue unter den heute fast 1000 bekannten Moais, misst gewaltige 12,40 Meter Höhe.
Die letzten Moais wurden kurz vor dem Zerfall der homogenen Inselgesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert von spezialisierten Steinmetzen aus dem einzigen Steinbruch der Insel am Rano Raraku herausgemeißelt. Hier ruht auch noch der fast fertiggestellte, ambitionierteste Moai aller Zeiten: gut 20 Meter hoch und fast 250 Tonnen schwer. Wie diese Kolosse von der Moai-Werkstatt über mehrere Kilometer zu ihrem finalen Aufstellort transportiert wurden, ist heute trotz vieler Theorien (manche auch in der Praxis nachgestellt) noch nicht schlüssig geklärt. Aufgrund einer urplötzlichen Abkehr von der Moai-Religion bedecken heute noch 397 Steinkolosse in den unterschiedlichsten Fertigungsstadien den Hang…vom ersten Schnitzer im weichen Tuff bis hin zu fertigen Figuren, die zum Abtransport bereit am Fuße des Steinbruchs liegen. Wir fühlen uns wie bei einer Werks- bzw. Fabrikbesichtigung, wo die Maschinen von einem auf den anderen Tag einfach abgestellt wurden.
Die roten Pukaos, fälschlicherweise oft als Hüte bezeichneten Kopfaufsätze wurden hingegen aus einem anderem Steinbruch geschlagenen und symbolisieren die einem Stammesoberen gebührenden, riesigen Haarknoten. Die ließen sich auch leichter transportieren, weil eben rund.
Und bei so viel Unerklärtem, so viel Mystischem ist Erich von Däniken natürlich nie weit. Seine Interpretation: Die Ahu-Steinplattformen dienten außerirdischen Südseebesuchern als Abschussrampen…na dann.
Kapitän James Cook, der 1774 nach dem Niedergang der Moai-Religion und dem Hinwenden der Bewohner zum sogenannten Vogelmann-Kult die Osterinsel erreichte, fand alle Moais nur noch vornüber umgeworfen in einem traurigen Zustand vor. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts begannen die Inselbewohner in Folge eines wiedergefunden Identitätsstolzes und mit finanziellen Mitteln aus den USA und Japan, die besterhaltenen Moais wieder aufzurichten und in ihrer ursprünglichen Glorie erstrahlen zu lassen.
So stehen am Anakena-Strand eine Gruppe von sieben Moais, hier soll der Rapa-Nui-König mit seinem Gefolge und kleinen Volk ja zuerst angelandet sein.
Die größte Ansammlung von Moais findet sich bei Ahu Tongariki. 15 Statuen, teilweise mit dem Haarknotenaufsatz, thronen tonnenschwer auf den flachen Fundamenten, wachen ehrwürdig über die Insel und flößen uns ganz schön Respekt ein. Die Kulisse ist ergreifend. Im Rücken der steinernen Riesen leuchtet der tiefblaue Pazifik und im Inselinneren erblickt man die Steilwand des Rano Raraku. Ein wahrhaft zauberhafter und energiegeladener Ort.
Apropos „energiegeladen“: unweit von hier liegt ein kugelrunder, stark magnetischer Stein von etwa einem halbem Meter Durchmesser, dem als Mittelpunkt einer alten Zeremonialstätte spirituelle Kräfte zugeschrieben werden. Bewacht wird der Stein vom „Rapa Nui Tiger“…








Der letzte Höhepunkt auf unserer Entdeckungstour über die Osterinsel ist der Besuch des Vulkankraters Rano Kau in dessen wassergefüllten Tiefen ein Pilz gedeiht (in freier Natur einzigartig auf der Welt und nur hier in diesem Krater!), aus dem ein hochpotenter Wirkstoff (Rapamycin) zur Vermeidung von Abstoßungsreaktionen nach Organtransplantationen gewonnen wird. Die Entdeckung dieses Wirkstoffs in den 1980er Jahren war ein Durchbruch für die Nachbehandlung von Transplantationspatienten und rettet seitdem unzählige Menschenleben.
Von hier aus starteten auch die Wettkämpfe um das erste Ei der Brutsaison, der sogenannte Vogelmannkult. Die alte, in festgefahrenen Traditionen verhaftete Herrscherkaste hatte um die Mitte des 15. Jahrhunderts keine Antworten mehr auf die sozialen, spirituellen und vor allem auf die Nahrungsversorgungsprobleme, die mit der drohenden Überbevölkerung einhergingen. Folge: „Bürgerkrieg“ und Errichtung einer neuen Gesellschaftsorganisation. Nach dem Ende der monarchischen Regierungsform entstand ein System eines jährlich wechselnden Herrschers bzw. Herrscherclans.
Alljährlich zur Brutzeit der Rußseeschwalbe wurde der neue Herrscher ermittelt: hierfür kletterten die von ihren Familien ausgewählten jungen Männer, die Hopu Manu, von der Siedlung Orongo oben am Vulkan über den 300m hohe Kraterrand hinunter zum Meeresufer, sprangen in die tosende See und schwammen zu dem vorgelagerten Inselsplitter Moto Nui (immerhin fast 1,5 Kilometer, auf denen es galt, sich bloß nicht von den vielen Haifischen erwischen zu lassen), um dort ein Ei der Schwalbe zu finden, aus dem Nest zu nehmen und es, ohne es zu zerbrechen, als Erster dem wartenden Priester oben auf dem Krater zu bringen. Der Gewinner war damit zum neuen Tangata (Vogelmann) gekürt, der mit seinem Stamm dann ein Jahr lang über die Insel herrschte.
Nach diesen beiden vollgepackten Tagen genießen wir unseren „freien Tag“ und spazieren durch das Dorf, kaufen uns einen kleinen Moai als Andenken (wir sind ja Touristen, also muss auch ein Souvenir mit), essen riesige Empanadas und besuchen den Inselfriedhof. Wie könnte es anders sein, so stehen auf vielen Gräbern statt der klassischen Grabsteine kleine Moais und wachen über die Toten. Die katholische Kirche stand den Indigenen zähneknirschend diesen „heidnischen“ Brauch zu, jedoch unter der Bedingung, dass ebenfalls ein christliches Kreuz das Grab schmücken müsse. Und so umarmen oder stützen sich die Grab-Moais eben auf das geforderte Kreuz, in manchmal humorvoller und schlitzohriger Art und Weise.
Und die Schildkröten ziehen uns wieder in ihren Bann. Lange stehen wir am Strand und sehen den behäbigen Tieren bei ihren langsamen Futterstreifzügen entlang der Felsen zu.















Der Versuch Christians Armbanduhr wieder flott zu bekommen scheitert. Nach zwei Batteriewechseln in den örtlichen Ferreterias (Mikro-Baumärkte) müssen wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass es nicht an der leeren Batterie lag, sondern dass die Uhr in die ewigen Jagdgründe vorausgegangen ist. Wieder ein Beitrag zur fortschreitenden Entschleunigung, wenn man nicht immer die Zeitanzeige vor Augen hat!


Wie schon bei der Ankunft mit Blumen werden wir beim Abschied mit Muschelketten geschmückt. Stolz tragen wir diese beim Boarding der LATAM-Boeing-787 nachmittags um halb drei und entschwinden mit einer leichten Linkskurve über die grüne Insel zurück nach Santiago de Chile, wo wir gegen 22Uhr wieder am Campingplatz in unserem PuCe ankommen.
Unser Fazit: obwohl wir einen Besuch der Osterinsel so gar nicht auf unserem Radar hatten, sind wir sehr froh, den Erzählungen und Empfehlungen unserer Reisefreunde spontan gefolgt zu sein. Es war wirklich ein Highlight; wir hätten es sehr bereut, nicht den Weg zu dieser Perle in der Südsee mit seiner einzigartigen Kulturgeschichte gemacht zu haben.




