Wer hat am Salz geleckt?



Während unserer Reise haben wir immer wieder von der sogenannten Lagunenroute und der Salar von Uyuni in Boliviens Süden vorgeschwärmt bekommen.
Aber auch die damit verbundenen Herausforderungen an Mensch und Maschine werden in zahlreichen Internetforen als nicht unerheblich beschrieben. Zum einen die Höhe: viele hundert Kilometer zwischen 4000m und 4800m. Dazu die schwierigen Pisten, die v.a. von geländegängigen Landcruisern befahren werden = unsere LKW-Spurbreite passt da nicht. Und auf der frei befahrbaren, riesigen Salzwüste (Salar) lauern die Gefahren des Einbrechens bei Unkenntnis des Untergrundes. Und das alles in einer isolierten Region im Südwestzipfel des Landes, fernab jeglicher Zivilisation.
Auf Empfehlung von Marlies und Peter (unsere schon mehrfach erwähnten Reisefreunde aus der Schweiz) und weil wir die anspruchsvollen Herausforderungen und Risiken als Alleinfahrer nicht selbst eingehen wollen, haben wir uns entschieden, eine viertägige geführte Tour ab San Pedro de Atacama in diese Region Boliviens zu machen. Man darf auch mal guten Gewissens die Verantwortung an jemand anderes abgeben.
In der Dunkelheit morgens um 6 Uhr werden wir an unserem Campingplatz von einem Kleinbus der Reiseagentur „white and green“ abgeholt. An Bord schon unsere Mitfahrerinnen für die nächsten Tage: vier junge brasilianische Mädels aus Florianopolis, die zusammen einen Kurzurlaub machen. Eile ist geboten, denn wir wollen rechtzeitig vor Grenzöffnung und vor den Massen am Grenzhäuschen sein. Marcos, unser Fahrer, prügelt den armen Mercedes-Sprinter-Bus in Rekordzeit hinauf auf den 4200m hochgelegen chilenischen Paso Fronterizo Hito Cajón (den Buckel sind wir vor ein paar Tagen im Schleichgang schon mal runter gefahren…siehe unseren vorherigen Artikel).
Um die Wartezeit bis zur Grenzöffnung zu verkürzen, bekommen wir ein Frühstück mit köstlichem französischem Baguette aus einer lokalen Bäckerei (da müssen wir nach dieser Kurzreise unbedingt hin), frischer, gestampfter Avocadocreme und Instantkaffee. Ganz herrlich; aber im pfeifenden Wind frieren uns die Finger ab.
Nach erfolgter Ausreise aus Chile, etwa 5km durch Niemandsland weiter nach der Einreise in Bolivien werden wir sechse und unser weniges Gepäck in einen Landcruiser umgeladen. Eine vorne, drei auf der Sitzbank und zwei ganz hinten auf Notsitzen. Das Gepäck kommt aufs Dach.
Etzon, unser Fahrer, Fremdenführer, Koch und Mechaniker, alles in einer Person empfängt uns mit bolivianischer Andenmusik und entführt uns in die magische und atemberaubende Welt der Hochlandlagunen.





Am ersten Tag halten wir an der Laguna Blanca und der Laguna Verde, die ihre Namen aufgrund der Farbe des Wassers bekommen haben. Verschiedene, aus den Bergen ausgewaschene Mineralien lassen die Lagunen in den Farben des Regenbogens erschillern. Die folgende, surreale Desierto Salvador Dali scheint tatsächlich einem Bild des berühmten spanischen Künstlers entsprungen zu sein…oder war es vielleicht andersherum?
Der Achtzylinder stampft angestrengt durch sandige Pfade und steile Anhöhen hinauf. Und auch wir atmen mittlerweile spürbar schwerer. Coca-Blätter-Kauen ist das Gebot der Stunde in dieser Höhe.
Nach dem vielen Sitzen und wenigen Laufen freuen wir uns auf den Mittagstopp an den Thermen von Polques (termas de polques). Das Angebot, im 37°C heißen Thermalwasser bis zur Essenszeit zu baden, schlagen wir aus; müssten wir uns doch bei gefühlt 10°C umziehen und danach wieder trocken werden. Lieber ein bisschen die Beine vertreten bevor wir zu Tisch gerufen werden. Uns tut die Pause gut, auch um das bisher Erlebte verarbeiten zu können.
Die Landschaften auf dem Altiplano sind durch ihre bestechende Kargheit einfach wunderschön, und trotz eisiger Temperaturen im Frühjahr, Herbst und Winter und der – bis auf kurze Regengüsse in den Sommermonaten – immerwährenden Trockenheit gibt es viel Leben zu beobachten. Allen voran die großen Lama- und Vicuñaherden.
Etzon hat in der Zwischenzeit in der Küche eines Comedors unser Mittagessen bereitet. Diese Comedore sind so etwas wie Restaurants, nur dass es keinen Küchenservice gibt. Alles muss mitgebracht und selbst zubereitet werden; gegen Gebühr darf die Küche und der Gastraum genutzt werden. In den Kühlboxen im Kofferraum unseres Autos lagern die Vorräte für Frühstück, Mittag- und Abendessen für die nächsten vier Tage. Mit einer ausstrahlenden Seelenruhe, aber doch hocheffizient koordiniert, macht und tut Etzon alles, um uns glücklich zu machen. An den jeweiligen Stopps dürfen wir nicht aussteigen, ohne vorher seinen Erklärungen zur Geschichte und den Besonderheiten des Ortes gelauscht zu haben.






Nach dem Essen geht es gleich weiter zum nächsten Highlight. Einer Geysirlandschaft. Aus vielen Löchern pfeift und strömt schwefelhaltiger Dampf aus der Erde. In anderen brodelt und blubbert eine heiße, matschige Brühe. Ein Geruch nach faulen Eiern liegt in der Luft. So hoch in den Bergen und dem heißen Erdkern doch so nah. Nur Geysire im eigentlichen Sinn, also heiße Quellen, die ihr Wasser in regelmäßigen Abständen als Fontäne ausstoßen sehen wir nicht. Die sind offensichtlich nur in den frühen Morgenstunden zu beobachten, wenn die oberen Erd- und Wasserschichten noch von der Nacht gefroren sind und erst durch den sich aufbauenden Wasserdruck durchbrochen werden müssen.




An unserem letzten Stopp des Tages sehen wir endlich, worauf wir schon den ganzen Tag gewartet haben. In der Laguna Colorada stehen Hunderte Flamingos und filtern in der typischen Pose mit ihren Schnäbeln kleinste Tierchen aus dem Wasser. Anders als die vielen Salzlagunen hier oben, ist die Colorada eine Süßwasserlagune, in der die Nahrung für die rosaroten Vögel prächtig gedeiht. Wie gebannt sehen wir den stolzen Vögeln bei ihrem Treiben zu und fragen uns, woher und vor allem wohin sie aus diesen Kesseln ziehen? Um uns herum doch nichts als Berge.
Langsam beginnt die Sonne sich dem Horizont zu nähern, und für uns wird es Zeit, zu unserem Nachtlager aufzubrechen. In der kleinen Ansiedlung Peña Barrosa bringt uns Etzon zu einem Hostal, in dem heute Abend der Strom nicht funktioniert (aber jemand soll wohl schon daran arbeiten) und in dem es keine Heizung gibt.
Am Esstisch in dicke Jacken gehüllt freuen wir uns auf den heißen Tee vor dem Abendessen und ziehen uns alsbald müde und voller toller Eindrücke ins Bett zurück; immer noch mit dicken Jacken und zusätzlich mit Handschuhen, die wir das letzte Mal bei unserer Antarktiskreuzfahrt ausgepackt hatten. Davon lassen wir uns die Laune aber nicht verderben…im Gegenteil…führt es uns doch wiedermal vor Augen, in welchem Glück und Wohlstand wir daheim leben dürfen.
Am nächsten Morgen geht es weiter und immer tiefer hinein in die einsame Lagunenwelt. Wir werden in dem Landcruiser trotz Etzons bedächtiger Fahrweise gut geschüttelt. Gott sei Dank haben wir dieses Unterfangen nicht auf eigene Faust mit unserem PuCe unternommen.
An den Fenstern ziehen große Lamaherden vorbei, die je nach Besitzer der Tiere mit unterschiedlich farbigem Ohrschmuck und Halsbändern behängt sind. Erleichtert die Zuordnung beim Zusammentreiben vor der jährlichen Wollschur ungemein. Beim kurzen Stopp in Villa Mar spaziert Patricia inmitten der putzigen Tierchen auf der Suche nach einem schönen Kalenderfoto (zum Glück hat keines gespuckt!).













Bevor wir die beiden letzten Lagunen, die Laguna Villa Mar und die Laguna Negra, auf unserer Tour erreichen, zeigt uns Etzon in einem abgelegenen Seitental den übergroßen, von Wind und Sand aus dem Fels geschliffenen Fußball-Weltmeister-Pokal…hat tatsächlich große Ähnlichkeit mit dem richtigen Ding.
Ebenso bleibt uns beim Anblick des Cañon Anaconda von einer Felsnase oben am Grat kurz die Luft weg. Wie eine Riesenschlange windet sich der Canyon unter unseren Füssen, über Jahrtausende tief hineingefressen in das weiche Gestein.
Einige Kilometer später, in Julaca, machen wir das, was wir eigentlich gleich zu Anfang unserer Tour hätten machen sollen: teambuilding! Mit uns treffen noch die beiden anderen Fahrzeuge unseres Touranbieters an dem alten Bahnhof ein, neben dem ein kleines G’schäfterl verschiedene bolivianische Biere verkauft. Eisgekühlt! Dazu plärrt ein Ghettoblaster vor dem Kiosk bolivianische Folklore über die staubige Pläne. Nun sind wir 18 people…die Idee ist, jeweils ein paar Flaschen aller verfügbaren Biersorten zu erwerben und dann in einer Art kollektiver Bierprobe die Butteln mit so klangvollen Sorten wie „Kaktusbier“ oder „Salzbier“ die Runde machen zu lassen.
Bei einer Runde ist es natürlich nicht geblieben☺. Und so feiern und tanzen wir im Wüstenwind und haben eine richtig gute Zeit miteinander.
Wurde dann doch länger als geplant. Daher kommen wir erst im Dunkeln in Colcha „K“ in unserem nächsten Hostal für die Nacht an. Macht aber nichts. Mit von den Guides großzügigerweise spendierten Weinflaschen des Weinguts Kohlberg in der Nähe von Tarija (wer hätte gedacht, dass es auch in Bolivien Weinerzeuger gibt und vor allem richtig gute) genießen wir ein lustiges gemeinsames Abendessen an der langen Tafel.
Und da wir der großen Salzwüste, der Salar von Uyuni, schon ganz nah sind, ist das Gebäude innen und außen mit purem Salzmörtel verputzt. Auch die Zimmer. Ist doch klasse, den Baustoff zu verwenden, der in der Gegend auf natürliche Weise verfügbar ist. Ganz langsam recken sich die Arme in unserer Gruppe, einer nach dem anderen, auf die Frage, ob schon jemand heimlich an den Salzwänden in seinem Zimmer geleckt hätte…fast alle haben es gemacht. Allen voran die Männer; wir bleiben im Kern halt doch immer Kind.











Jetzt aber ab ins Bett, denn um 5 Uhr klingelt der Wecker zu einer frühen Abfahrt auf die Salar, um auf der riesigen, schneeweißen Fläche den Sonnenaufgang erleben zu können. Leider haben sich ein paar freche Wolken vor die am Horizont aufsteigende Sonne geschoben; beeindruckend war es trotzdem, umgeben von nichts als Weiß die ersten Strahlen des Tages im Gesicht zu spüren.
Apropos spüren: wir spüren unsere Mägen, sind wir doch ohne Frühstück aufgebrochen. Das holen wir nach auf einer dicht mit Kakteen bestandenen Insel im Salzmeer, der Isla Incahuasi, dem Haus der Incas. Schon allein die kilometerlange Anfahrt über das Salz ist spektakulär, wie sie sich langsam immer größer als brauner Berg aus dem Salz herausschält. Von dem Mirador auf dem höchsten Punkt der Insel wirkt es tatsächlich so, als ob das weiße Meer an die dunklen Strände brandet. Verrückt!
Mit einer Fläche von über 10.000km² ist die Salar von Uyuni die weltweit größte Salzfläche.
Und nun kommt der Spaßteil der Reise. Fertigmachen für die „crazy photos“. Wie schon in der Grande Salina in Argentinien müssen wir uns immer wieder neu aufstellen, dirigieren uns die Guides zu witzigen Fotomotiven aus verschiedenen Perspektiven und sogar ein paar hollywoodreife Videos haben wir, man höre und staune, first-time-right bei der ersten Klappe auf Zelluloid gebannt:







Schon wieder fast am Salarrand steht das mehr oder weniger berühmte Salzhotel. Eher ein Hostal mit ein paar Zimmern, das aber komplett aus Salz errichtet wurde. Aus betonharten „Salzbacksteinen“ mit dem uns schon bekannten Salzverputz auf den Wänden. Direkt davor ein Monument zur Erinnerung an die hier über ein paar Jahre lang vorbeigezogene Karawane der Rallye Dakar. Erinnerungsfotos sind natürlich Pflicht!
Und jetzt verstehen wir auch die „Horrorgeschichten“ von anderen, individualreisenden Salarüberquerern, die fast hoffnungslos in das Salz eingebrochen sind und nur unter größten Anstrengungen und mit schwerem Gerät wieder geborgen werden konnten. Überall lauern kleine Pfützen, die tragende Salzdecke ist stellenweise nur wenige Zentimeter dick. Wenn man nicht aufpasst oder weiß, wo der Untergrund tragfähig ist, geht es ganz schnell ganz schief.
Aber unser Fahrer bringt uns souverän über den Salarrand wieder auf festes Terrain und lädt uns kurz vor Mittag in dem Nest Colchani ab, begleitet uns in eine Salzmanufaktur und überlässt uns danach den vielen Straßenhändlern mit ihren Souvenirständen. „Accepta tarjeta credito? Si!“ Wow, selbst der noch so kleinste Stand akzeptiert Kartenzahlung…dann los. Zwei Paar Lamawollsocken und zwei Flaschen des wirklich guten Kohlberg-Weines von gestern Abend später, sitzen wir wieder im Auto zu dem Endpunkt unserer Fahrt: Uyuni. Sitzen beim letzten gemeinsamen, leckeren Mittagessen bei einer Familie in deren zu einem Gastraum erweiterten Wohnzimmer, um danach noch dem örtlichen Zugfriedhof mit seinen uralten, im Sand eingesunkenen Dampflokskeletten einen Besuch abzustatten.











Dies ist unser Umkehrpunkt. Ab jetzt geht es zurück. Im Zentrum verabschieden wir noch etwa die Hälfte der Truppe, die ab Uyuni mit Überlandbussen in die Hauptstadt Susques oder nach La Paz weiterzieht, wechseln die Autos und Fahrer. Etzon bleibt mit seinem Wagen für ein, zwei Tage Ausruhen, Wagenpflege und Vorbereitung für seine nächste Tour zurück in Uyuni.
Doch bevor es weitergeht, hält Fred, unser neuer Fahrer, noch bei einer kleinen Werkstatt zu einem flotten Ölwechsel. Alles wird am Straßenrand erledigt. Den schmutzigen Eimer unters Auto geworfen; altes Öl raus, Filtertausch, neues Öl rein. Daneben gekleckert…macht nichts…der Sand saugt es schon auf…hm…Umweltschutz ist in diesem, einem der ärmsten Länder Südamerikas noch nicht wirklich angekommen. Es dauert keine 15 Minuten. Warum müssen wir in Deutschland darauf immer mindestens einen Tag warten?
Und nun heißt es beten! Für eine gesunde Rückkehr. Denn Fred rast. Erst die knapp 100km Asphalt und dann weiter über Schotter und Sand, über Stock und Stein in die Dunkelheit hinein zurück zu unserem ersten Hostal auf der Reise in Peña Barrosa (siehe oben). Die Tachonadel immer zwischen 80 und 100km/h; das ist doch nicht die Rallye Dakar! Er kennt scheinbar jeden Stein, jede Kurve auf der Strecke. Unsere brasilianischen Mädels sonst ein steter Quell fröhlicher Unterhaltung an Bord sind auch verstummt.
Erleichtert, dass Mensch und Maschine diesmal unversehrt geblieben sind, plumpsen wir nach einem kurzen Abendessen ins Bett. Heute ist es nicht ganz so kalt wie noch vorgestern. Die Handschuhe können in der Reisetasche bleiben. Die letzten zwei Stunden schaffen wir dann noch im Morgengrauen an die Grenze zurück, wo Fred auf seine neuen Gäste wartet und wir nach erfolgreicher Grenzpassage gegen 9 Uhr in den Kleinbus zurück nach San Pedro de Atacama steigen.










Dankbar und zufrieden blicken wir auf die vergangenen vier Tage zurück. Um keinen Preis hätten wir diese in vielerlei Hinsicht faszinierende Kurzreise durch den Süden Boliviens missen wollen. Die wahnsinnig schöne Landschaft rund um die vielen Lagunen hat uns ein ums andere Mal die Sprache verschlagen. Genauso die magische Salzwüste westlich von Uyuni. Auf der anderen Seite beschäftigt uns beim Schreiben dieses Artikels immer noch die arme und einfache Lebensweise der Bewohner der Region, trotz aller Entbehrungen das Lachen der Kinder morgens auf dem Weg zur Dorfschule und das manchmal doch eher zurückhaltende Verhalten der Südbolivianer (ist wahrscheinlich nicht einfach, den privilegierten Touristen ständig gute Laune vorzugaukeln).
Hätten wir es mit dem eigenen Auto gemacht? Jetzt, mit dem Wissen um die schwierigen Wege und Passagen rund um die Lagunen, immer mit dem Risiko einer Panne und den (schier unmöglichen) Bergungsmöglichkeiten in dieser isolierten Region, ganz klar: Nein! Es war die richtige Entscheidung, uns Etzon anzuvertrauen und uns von ihm seine Heimat zeigen zu lassen.
Das klingt ja wieder, wie immer bei euch, nach sehr ereignisreichen, spannenden und atemberaubend schönen Tagen und Erlebnissen.
So toll!