Auf den Spuren von Dinosauriern und anderen Ureinwohnern




Mit dem Schutz der Difunta Correa ausgestattet verlassen wir die Pilgerstätte auf der Ruta 510 durch das Valle Fertil entlang der gleichnamigen Gebirgskette (Sierra del Valle Fertil). Eigentlich assoziieren wir mit einem fruchtbaren Tal üppig grüne Landschaften, natürliche Wasserquellen, Flüsse, etc.; hier ist es jedoch schon wüstenartig.
Im kleinen Ort San Augustin del Valle Fertil, wohl berühmt für seine Zitrusfruchtplantagen, halten wir nur für einen kurzen Tank- und Kaffeestopp. Die Erntesaison ist schon vorbei.
Trotz der Trockenheit in dieser Jahreszeit (Spätsommer/Frühherbst) gibt es Perioden mit starken Regenfällen. Und da beim Straßenbau aus Finanz- oder Praktikabilitätsgründen die einfachen Lösungen die besten sind, wird auf Unterführungen für das von den nahen Bergflanken herabfließende Wasser verzichtet. Stattdessen wird die Straße in regelmäßigen Abständen einfach tiefergelegt, damit die Sturzbäche dann quer über die Straße weiterfließen können. So eine Absenkung heißt in Argentinien: badén. Manchmal kann man wohl auch darin baden….für uns fühlt es sich auf den z.T. schnurgeraden Straßen wie ein Ritt auf einem Wellenmeer an. Rauf und runter immer dem natürlichen Verlauf des Untergrundes folgend schunkeln wir voran.

Unser Tagesziel ist nicht mehr fern: der kleine Provinzpark Ischigualasto mit seinem Valle de Luna, dem Mondtal. Mit jedem Kilometer weiter nach Norden wird die Landschaft trockener, karger, sandiger, schroffer und rauer. Große „Lucky-Luke-Kakteen“ säumen die Hügel. Mehr und mehr sind wir an Namibia und an das rotfelsige Arizona rund um Sedona nördlich von Phoenix mit seinen typischen Saguaro-Kakteen erinnert. Zwei Wohlfühlorte für uns.
Es ist zwar nicht das einzige Mondtal auf der Erde, aber nach Aussage der Parkranger die größte Schatzkammer, wenn es um die Rekonstruktion der Erdgeschichte im Trias geht. In dieser 230 bis 185 Millionen Jahre zurückliegenden Periode haben Reptilien, wir nennen sie heute Dinosaurier, begonnen, die Erde zu bevölkern. Gewaltige Hebungs- und Verwerfungsprozesse förderten die Sedimentschichten mit ihren fossilen Ablagerungen zutage. Ein echtes Disneyland für Paläontologen.
Im kleinen, aber feinen Museum bestaunen wir nicht nur die Fundstücke (Dino-Skelette), sondern auch die von den Wissenschaftlern erarbeiteten Lebensgewohnheiten der alten Reptilien. Dass dieser Tier- und Pflanzenfriedhof so ergiebig ist, verdankt er seinem Zustand vor über 200 Millionen Jahren. Weder die Anden noch die umliegenden Gebirgsketten hatten sich erhoben und in einer von pazifischen Regenwinden getränkten tropischen Sumpflandschaft wucherten mächtige Baumfarne und Araukarienwälder.
Besuchen können wir das Valle de Luna nur im Rahmen einer geführten Selbstfahrertour. Früh am Morgen reihen wir uns mit unserem Dicken in die Schlange der wartenden Autos (insgesamt werden es neun). In das erste steigt unsere Führerin Daniela zu und los geht es in gemächlichem Tempo auf die etwa 42km lange Strecke über Stein, Sand und Geröll. Unsere anfängliche Befürchtung, wir könnten auf den kleinen Wegen nicht mithalten, entpuppt sich alsbald als grundlos.
Wir fühlen uns wie auf einer geologischen Achterbahn und kommen aus dem Schauen und Staunen nicht heraus. Stets suchen wir nach Interpretationen für die vom Wind geformten und bearbeiteten Gesteinsformen. Bei den markantesten machen wir Halt und Lauschen den Erklärungen von Daniela. So erstaunliche Gebilde wie die Sphinx oder das Unterseeboot und viele an Pilze erinnernde Formen wurden durch das beständige Schmirgeln von Sand und Wind heraus modelliert.
Angeblich war Aladins Wunderlampe lange Zeit eine der schönsten Formen…die hat der Wind jedoch schon wieder ausgeblasen. Die Rückfahrt aus dem Valle de Luna führt entlang gewaltiger, rot leuchtender Steilwände; den Los Colorades, die sich viele Kilometer weiter in die Provinz Rioja als Cañon de Talampaya im gleichnamigen Nationalpark fortsetzen.
Froh, diese Tour mitgefahren zu sein, genießen wir den Nachmittag am PuCe im Schatten (es ist heiß!), den Abend am Grill und werden abwechselnd von Guanakos und Zorros (Schakalen) besucht.






Nach einem frühen Start, um die hohen Mittagstemperaturen zu meiden, und weiteren knapp 100km erreichen wir den Talampaya Nationalpark, installieren uns auf dem Stellplatz nahe des Besucherzentrums und buchen die Canyon-Tour für 16 Uhr. Wie schon im Ischigualsto darf der Park selbst nur im Rahmen einer geführten Tour besucht werden. Es stehen zwar moderne 4×4-Wüsten-LKWs bereit, jedoch ist unsere Truppe scheinbar nicht groß oder unsere Strecke nicht abenteuerlich genug dafür. Stattdessen werden wir von einem Kleinbus durch das sandige Flussbett in und durch den Canyon geschaukelt. Das sich abwechselnd verengende, öffnende oder verzweigende Schluchtsystem überrascht uns mit einem farbigen Strauß von Eindrücken. Senkrechte, 130m hohe Sandsteinwände, antiken Säulen gleichend, haben Formationen herausgebildet, die Kastell, Kathedrale und Pantheon genannt werden. Am Ende des Canyons steht ein Mönch in stiller Einkehr und blickt seit Urzeiten in die aufgehende Sonne.
In schier unerreichbaren Höhen nisten Kondore, die heute für uns grandiose Flugshows vollführen. Und der Canyon bietet auch Raum für ein bisschen Spaß. Das Echo unserer lauten Rufe wandert fünf, sechs mal hell und klar zwischen den eng stehenden Wänden hin und her.
Nur vor den in den Stein geritzten Petroglyphen stehen wir etwas unbeholfen da. Was die wohl bedeuten sollen? Lama- und Guanakoherden sind noch am einfachsten zu erkennen. Doch was wollten uns die frühen Künstler mit den vielen Spiralen und anderen geometrischen Figuren übermitteln? Fragen, die ohne Antwort bleiben.
Als beantwortet scheint die Frage, warum die gefundenen Überreste der hier siedelnden Bewohner so schlechte Zähne hatten. Das Korn (Getreide und Mais) wurde in kleinen, steinernen Reiblöchern im Boden mit einem Stößel, wie in einem Mörser, zu grobem Mehl verarbeitet. Zu dem entstandenen Mehl mischten sich natürlich auch die vielen mitabgeriebenen Stein- bzw Sandkörner, die somit ihren Weg ins Brot und damit zwischen die Zähne der Kauenden fanden. Folge: abgeschmirgelte Zähne.
Und auch die Region im heutigen Talampaya Nationalpark ist eine Fundgrube für Dino-Forscher. Während der letzten 30 Jahre gab es neben vielen kleineren auch einige bedeutende Funde, z.B. zwei Riesenschildkröten (geschätztes Alter: 220 Mio Jahre).

Wir sind überwältigt von so viel Schönheit, die aus der Kargheit, dem Farbspiel in den Felsen und v.a. aus unserer Vorstellungskraft und Interpretation der Formen entsteht. Und weil es uns hier so gut gefällt, bleiben wir einfach noch einen weiteren Tag an diesem stimmungsvollen Ort. Es wird Zeit, unseren überfälligen Blogartikel zu verfassen. Als kleine Belohnung kommt dann auch ein mächtiges lomo de bife auf den Grill.






Von der Natur geht es zurück in die Moderne. Die Kleinstadt Chilecito, mit seinen 50000 Einwohnern immerhin die zweitgrößte in der Provinz La Rioja, bekam ihren Namen „Klein-Chile“ von den vielen emigrierten Bergleuten aus dem Nachbarland. Doch zuerst müssen wir auf der Ruta 40 durch oder über die Engstelle zwischen den Sierras de Sanogasta und Famatina. Was für eine herrliche Fahrt an den Steilhängen hinauf zum Cuesta de Miranda und im anderen Tal wieder steil hinunter. 2000 Höhenmeter. Und wir dachten, die heutige Etappe auf der 40 wird ein ruhiges Dahingleiten und keine Berggemsenkletterpartie.











Ende des 19. Jahrhunderts begannen Engländer, etwa 40 Gold-, Silber- und Kupferminen auszubeuten. Und das knapp 40km Luftlinie von Chilecito entfernt in 4600m Höhe! Die Leipziger Firma Adolf Bleichert & Co lieferte ihnen eine 35km lange Seilbahn zum Abtransport der Erze aus den Minen hinunter in die Stadt. Höhenunterschied: 3325m. Über 262 Masten und insgesamt 9 Seilbahnstationen bzw. Umschlagbahnhöfe tuckerten die voll beladenen Kübel 4 Stunden lang am Seil nach unten. Umschlagbahnhöfe wegen der maximalen Seillänge. Ein 70km langes Kabel und ein entsprechend starker Seilbahnmotor für einen kompletten Umlauf waren einfach nicht realisierbar. Förderkörbe, Kessel, Dampfmaschinen, kurz: das gesamte Seilbahnprojekt wurde nach einer Vor-Ort-Studie 1903 in Leipzig konstruiert, zusammengebaut, wieder auseinandergenommen, per Schiff nach Buenos Aires und dann per Eisenbahn nach Chilecito geliefert. In einer Rekordzeit von nur 18 Monaten (zwischen 1907 und 1908) erfolgte dann der Aufbau und die Inbetriebnahme der cablecarril (Drahtseilbahn) mit einer vertraglich zugesicherten Garantiezeit von 102 (!) Jahren. Zu damaliger Zeit ein kleines Weltwunder.
Nach nur 20 Jahren war 1928 leider schon wieder Schluss. Der extreme Aufwand, das begehrte Erz aus dem Berg zu schlagen, zu transportieren und zu verhütten, hat sich am Ende nicht gerechnet. In den 1990ern wurde noch einmal ein Anlauf zur Wiederinbetriebnahme gemacht; diesmal allerdings zu touristischen Zwecken (Personentransport in den alten Förderkübeln). Nach einem Unfall, tragischerweise mit Personenschaden, aber gleich wieder eingestellt. Und so wird es wohl auch bleiben. Die Garantie ist im Jahr 2010 sowieso abgelaufen…
Wir besichtigen die beiden unteren estaciones; #1 (die Talstation) und #2 (die erste Bergstation mit Umschlagbahnhof ein paar Kilometer außerhalb der Stadt und bereits ein paar hundert Meter höher). Vor allem Christian staunt ob der wagemutigen Konstruktion und der vielen damaligen Neuerungen, die auch bei modernen Sesselliften zum Einsatz kommen. Z.B. das „Sesselausklink- und Wiedereinklinksystem“ an den Umschlagbahnhöfen sieht schon genauso aus, wie wir es heute kennen. Im Museum zeichnet ein sehr engagierter Führer mit vielen Details und anhand von Ausstellungsstücken aus der damaligen Zeit die Geschichte der Seilbahn nach und informiert uns ausführlich über das herausfordernde Unterfangen.
Kurz vor unserem Aufbruch aus Chilecito hält neben uns an der Tankstelle ein altersschwacher Kleinlaster, auf dessen Ladefläche frisches Obst und Gemüse die Bordwände nach außen drückt. Auf Christians Frage, ob sie denn „direkt verkaufen“ würden, erhalten wir erstmal Schulterzucken. Anscheinend ist der Chef nicht mit an Bord, die Preise kennen die beiden jungen Männer nicht. Wir wollen nur ein paar Orangen erstehen. Doch dann erhellen sich die Mienen – wohl mit der Aussicht auf ein paar schnell verdiente Pesos am Chef vorbei – und wir füllen unsere Einkaufstüten mit Orangen, Bananen und Birnen in Spitzenqualität direkt vom Laster. Selbst der Tankwart freut sich über die ungewöhnliche Transaktion über die Zapfsäule hinweg.




In den nächsten Tagen tauchen wir ein in die Zeit vor und während der Inka-„Besatzung“. Die Völker, die hier im damals noch wesentlich fruchtbareren Gebiet östlich der Anden lebten, hinterließen viele Zeugnisse ihrer Lebensweise, ihrer Kultur und ihrer Architektur. Schnell kommen beim Schlagwort Inka natürlich Stätten wie z.B. Machu Pichu in Peru in den Sinn. Doch auch viele andere indigene Volksgruppen haben vor, in Kooperation mit und auch unter der Knechtschaft der Inkas weit außerhalb des Machtzentrums in Cusco verteilt in Südamerika gelebt.
Unsere Kulturtour beginnt bei den Ruinen von Hualco. Unweit des Camping Municipal Andaluca, auf den wir fast nicht einchecken konnten. Unter dem riesigen Eingangstor ist ein großes Schild aufgehängt, durch das das PuCe nur mit knapper Not hindurchgepasst hat (eigentlich haben wir es touchiert…muss aber keiner wissen…). Und da die Feriensaison schon lange vorbei ist, will auch niemand Geld von uns. Vielen Dank!
Die Festung von Hualco umfasste etwa 300 Gebäude im oberen Teil einer Schlucht, von wo aus die Bewohner große Teile ihres Gebietes beobachten konnten. Die Grundrisse der verbliebenen Fundamente lassen auf unterschiedliche Nutzung der jeweiligen Gebäude schließen. Rechteckige zumeist Wohnhäuser bzw Stallungen, runde Lagerhäuser. Es wird allgemein angenommen, dass das Volk der Aguadas hier zwischen 700 und 1000 n.Chr. gelebt hat. Also weit vor der Inka-Invasion Mitte des 15. Jahrhunderts. Unser Führer schleppt uns der Berg hinauf. Und merkt schnell, dass wir zwar ein bisschen Spanisch sprechen und verstehen, er uns aber so viel mehr erzählen und erklären möchte. Sein Trick: er hat auf seinem Handy einen Audio-Guide auf Englisch gespeichert. Immer wieder halten wir an, lauschen seinen Ausführungen und bekommen dann den Rest auf Englisch aus dem Lautsprecher erläutert. Richtig klasse macht er das.
Da wir heute Nachmittag die einzigen Besucher sind bekommen wir eine private Tour. Und noch eine Zugabe. Am Ende „entführt“ er uns noch in die Schlucht unterhalb der alten Siedlung an einen Wasserfall, wo die Einwohner seinerzeit das Wasser für ihre Haushalte geschöpft haben. Ein malerischer Ort. Wir könnten noch länger verweilen.
Auf dem Zeitstrahl ein paar Jahrhunderte weiter, unweit der 1558 gegründeten Kleinstadt Londres (London…wurde bei Stadtgründung zu Ehren der Vermählung von Mary Tudor von England und Philip II, König von Spanien so genannt) empfängt uns die präkolumbianische Inkastadt von Shincal. Erst um die Jahrtausendwende haben die Forschungs- und in deren Zuge auch die Restaurierungsarbeiten den historischen und kulturellen Wert dieser Anlage wiederhergestellt. Wir schließen uns der Führung mit einer argentinischen Gruppe an; könnten wir doch sonst nur erahnen, was wir da Interessantes vor uns haben.
El Shincal del Quimivil – so der vollständige Name – war zwischen 1471 und 1536 einer der bedeutendsten Orte im Inkareich auf argentinischem Boden und ein wichtiger Knotenpunkt im Inka-Straßennetz (Teile dieses Wegenetzes sind auch heute noch gut erhalten bzw. wurden aufgrund ihrer effizienten Routenführung z.T. vom modernen Straßenbau übernommen). Aufzeichnungen belegen, dass speziell trainierte Botenläufer in einer Art Staffellauf nur etwa 8 Tage benötigten, um wichtige Botschaften vom Inkaherrscher aus Cusco über den Norden Chiles und den Paso de San Francisco ins 2000km entfernte Shincal zu befördern. Das schafft die heutige Post nicht immer…
Das wohldurchdachte und nach strategischen Gesichtspunkten ausgewählte Areal umfasst etwa 30 Hektar, wobei nur ein Bruchteil „restauriert“ wurde und uns Touristen zugänglich ist. Im wesentlichen wird das architektonische Konzept von Cusco nachgeahmt. Auf terrassierten Hügeln stehen sich in den vier Himmelsrichtungen Tempel gegenüber, die in Zusammenhang mit rituellen Zeremonien stehen, etwa der Sonnen- und Mondanbetung während der jeweiligen Jahreszeiten. Zu den Tempeln die Hügel hinauf führen mächtige Treppen, an deren Spitze mit riesigem Kopfschmuck bekleidete Inkapriester ihre Rituale durchführten. An den Hängen liegen die Residenzen der Eliten, wohingegen die arbeitende Bevölkerung in großen Häuserkomplexen im Flachland siedelte. Die Chefs leben in den oberen Etagen. Zwei nahe Flüsse, die dauerhaft Wasser führen (nicht selbstverständlich hier), bildeten über ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem die Grundlage für ausgedehnten Ackerbau und Viehwirtschaft. Was bei uns daheim die Kühe und Schweine sind, sind hier die Lamas. Spender für Fleisch, Wolle & Leder.
Langsam kommen wir ins Inka-Fieber. Morgen steht schon das nächste Highlight auf dem Programm: die berühmte Ruinenstadt Quilmes. Doch für heute lassen wir es gut sein und schlagen unser Nachtlager bei den Termas de Hualfin auf. Nicht ohne vorher noch eine Flussdurchfahrt dahin machen zu müssen. Wir steigen aus, begutachten das Flussbett, sind uns ob des schlammig-sandig-steinigen Untergrundes unsicher und haben doch keine andere Wahl als da durch zu fahren (naja…man hat immer eine Wahl, aber wir wollten nun mal zu den Thermen). War dann doch eher unspektakulär. Die Durchfahrt.
Am Ende einer engen Schlucht schmiegt sich die kleine Anlage an den Berg, aus dem das heiße Wasser hervor sprudelt. Überwältigt von den heutigen Eindrücken und zu keiner thermischen Anstrengung mehr fähig belassen wir es dabei und widmen uns einem kalten Radler umringt von schnatternden grünen Felsensittichen und einer hinter dem glutroten Berg untergehenden Sonne.











Über die gut ausgebaute, kurvige Ruta 40 kommen wir schnell voran. Schnell? Mittlerweile hat sich unsere Geschwindigkeit auf guten Landstraßen bei maximal 65km/h eingependelt. Alles andere wäre für uns zu „rapido“; wir wollen ja beim Fahren auch was sehen und entdecken können. Von einem „Nothalt“ bei einem tollen Fotomotiv ganz zu schweigen.
Die letzten 5km nach der Abzweigung von der 40 geht es holperig und polterig auf die Ruinenstadt von Quilmes zu. Da fahren wir z.B. nur 15km/h. Soviel zur Fahrzeitberechnung…die haben wir schon lange aufgegeben…spätestens seit Christian keine Armbanduhr mehr hat (siehe Osterinsel) und nicht mehr kontinuierlich mitplottet.
Am Eingang werden wir von einer freundlichen jungen Dame begrüßt, zahlen den Eintritt (€3,50 pro Person) und bekommen auch sogleich das „OK“ von ihr, hier über Nacht stehen bleiben zu können (verbunden mit einer Entschuldigung, dass es in ihrem Wachhäusel nur kaltes Wasser gäbe, wir aber jederzeit eingeladen wären, ihr Bad mitnutzen zu dürfen…brauchen wir nicht…trotzdem supernett von ihr!). Die Sonne brennt und es ist heiß…34 Grad. Selbst die hier umher streunende Lamaherde bewegt sich nicht unter den schattenspendenden Bäumen hervor. Nur die auf den großen Kanderlaberkakteen sitzenden Raubvögel halten nach Beute Ausschau.
Die heilige Stadt von Quilmes, la ciudad sagrada de los Quilmes, ist eine der größten archäologischen Stätten des Landes. Am Eingang werden wir höflich darauf hingewiesen, uns doch bitte erst im Museum mit der Geschichte dieses Ortes und der einstigen Bewohner vertraut zu machen. Wie wir sehen werden, eine gute Idee. Und nach dem Museumsbesuch führt uns Sergio, ein Nachfahre der Quilmes (so seine Aussage) mit vielen Informationen durch die unteren Teile der Anlage, bevor wir dann von ihm auf Selbstentdeckungstour losgeschickt werden. Wir sind mal wieder sehr froh, diesen Service in Anspruch genommen zu haben.
Denn das Volk der Quilmes waren keine Inkas. Vielmehr haben sie in mehr oder weniger friedlicher Koexistenz mit den Inkas hier gelebt (jedenfalls solange sie den geforderten Tribut an den Oberinka gezahlt haben) und waren doch integraler Teil des südlichen Inka-Verwaltungsbereiches. Über 500 Jahre entwickelte sich diese Siedlung bis sie um 1500 mit mehreren tausend Einwohnern eine der größten Städte in Südamerika war. Selbst mit Weitwinkel braucht man mehrere Bilder, um die gesamte, mehr als 30ha große Anlage überschauen zu können. Auch von den auf den Bergrücken links und rechts des pueblos angelegten Befestigungsanlagen haben wir immer nur jeweils ein Drittel der Stadt überblicken können. Dafür bietet sich von oben – nach einer schweißtreibenden Kraxelei – eine tolle Übersicht über das Tal.
Was bei kriegerischen Auseinandersetzungen sicher ein entscheidender Vorteil war.
Die Ruinen selbst schmiegen sich – wie schon in Shincal – den Berg entlang von der Ebene nach oben hinauf zum Alto del Rey, dem Königssitz. Ab dem Jahr 1978 haben argentinische Wissenschaftlerteams die Mauern, Terrassen und Wege, auf denen wir uns frei bewegen dürfen, restauriert. Die verschachtelte Architektur, in der wir uns ein paar Mal verlaufen, um Innenhöfe, Wohnhäuser, Stallungen und Lagerräume herum, ist sehr, sehr beeindruckend. Dazwischen verstreut liegen noch alte Mühlsteine, auf denen Mais und Quinoa gemahlen wurde. Dazu kamen Kartoffeln, Bohnen und Paprika auf den Tisch. Lamas bereicherten den Speiseplan mit Fleisch und Milch. Dies alles ging nur mit einer ausgeklügelten Infrastruktur. Ein über 100km langes Bewässerungssystem, das über mehrere Seitenkanäle sowohl die Felder als auch die Bewohner der Stadt zuverlässig mit Wasser versorgt hat, war einer der zentralen Grundpfeiler dafür.
Auf dem Höhepunkt der Quilmes-Zivilisation kamen dann – wir ahnen es schon – die Spanier. Das erste Mal 1535. Aus dem Nordwesten fielen sie, noch mit einer kleinen Armee, in Quilmes ein und konnten mit dem Mut der Verzweiflung von den Kriegern der Quilmes wieder vertrieben werden. Unglaubliche 130 Jahre leisteten die Einwohner erfolgreich Widerstand gegen die Eroberer. Doch 1665, nachdem die spanischen Truppen die Felder und Flüsse verheert hatten, und somit eine Hungersnot drohte, gaben sie ihren Widerstand auf. Die 2000 gefangengenommen Quilmes wurden auf einem 1400km langen Todesmarsch in die Nähe von Buenos Aires quer durch das Land getrieben, wo nur 400 lebend ankamen und in den Wirren der sog. Zivilisierung untergingen. Nur wenige konnten sich dem Zugriff der Spanier durch Flucht in die Berge entziehen und die Erinnerung an das einstmals so stolze Volk – lange Zeit im Geheimen – über die Generationen hinweg bis heute bewahren.
Die heutige Stadt Quilmes südlich von Buenos Aires trägt aus genau diesem Grund ihren Namen und die landesweit bekannteste und erfolgreichste Brauerei Quilmes steht ebenfalls dort.
Am Spätnachmittag zum Ende unserer Besichtigungstour gönnen wir uns umringt von Lamas am kleinen Museumsimbiss eine dringend notwendige Erfrischung bevor wir uns zu unserem PuCe zurückziehen. Die Nacht wurde etwas unruhig. Doch nicht etwa wegen Auto- oder Hundelärm (die waren alle mucksmäuschenstill), sondern wegen Hunderter von Papageien. Scheinbar haben die unter dem hell leuchtenden Vollmond den „Jetzt-ist-Schlafenszeit-Licht-aus-Schalter“ nicht gefunden. Von den Kakteen und Stromkabeln krächzt und schnattert es die ganze Nacht hindurch. Wir genießen dieses Konzert ganz für uns alleine trotzdem…
Hallo ihr beiden, es liest sich als wärt ihr in einer stehengebliebenen Zeit gestrandet. Ich finde das sehr beeindruckend! Es ist unglaublich was ihr in der kurzen Zeit schon alles gesehen und erlebt. Macht weiter so und teilt eure unsagbaren Erlebnisse mit uns LG Hartmut und Ines