Von den Siete Lagos in Argentinien zu den Siete Lagos in Chile




Nach einer Woche in Argentinien müssen wir hinter San Martin entscheiden, welchen Andenpass wir nach Chile nehmen wollen. Die Wahl fällt auf die Ruta 60 mit dem Parque Nacional Lanín kurz vor dem Grenzpass Mamuil Malal. Da wir in Ushuaia vor über 2 Monaten das letzte Mal unsere Gasflasche aufgefüllt haben, wollen wir vor der Überfahrt nach Chile in Junin de los Andes versuchen, die Pulle wieder voll zu bekommen. Leider vergeblich. Der örtliche Gashändler hat nur Butan im Angebot, wir brauchen aber Propan. Doch eine schnelle Wägung unserer Flasche zeigt, dass wir bisher erst weniger als die Hälfte verbraucht haben. Also kein Grund zur Sorge. Die nächste Füllgelegenheit kommt bestimmt.
Sanft steigt die Ruta 60 durch ein malerisches Flusstal dem Vulkan Lanín entgegen. Vieh- und Holzwirtschaft dominieren, Weideflächen wechseln sich mit Baumplantagen (Pinien und Föhren) ab. Und dann kommen sie…die ersten großen Araukarienwälder. Vereinzelte Bäume haben wir schon immer mal wieder auf unserer Fahrt durch die Anden entdeckt; jedoch diese bizarr anmutenden Pflanzen in so großer Zahl und in solcher Größe zu sehen, ist beeindruckend.












Die immergrüne, bis zu 50 Meter hohe Araukarie, auch Anden- oder Chiletanne, wird in der indigenen Mapuchesprache Pehué genannt. Jetzt wissen wir endlich, warum so viele Ortsnamen auf „pehué“ enden. Die Araukarien gelten als eine der ältesten Baumfamilien der Welt, datieren sie doch bis zu einem Alter von über 90 Millionen Jahren.
Und wo wir gerade beim Alter sind: die ältesten heute stehenden Baumgreise sind als Samen um den Beginn unserer Zeitrechnung herum aufgegangen (ca. 2000 Jahre!). Mittlerweile ist sie auch in Europa bis hinauf nach Südnorwegen bekannt und man findet sie bei uns in dem ein oder anderen Garten als exotischen Hingucker. Der englischsprachige Name „monkey puzzle tree“ rührt übrigens von einem Kommentar eines Engländers um 1800, der meinte, diesen Baum mit seinen dolchartigen Blättern zu erklimmen, sei selbst für einen Affen eine kaum lösbare Aufgabe. Weder wusste dieser Mann, dass in dem natürlichen Verbreitungsgebiet der Araukarien gar keine Affen leben, und schon gar nicht, dass die Araukarie zu den Nadelgehölzen und nicht zu den Laubbäumen zählt; obwohl die ledrigen, schuppenförmigen Dolche eher an Blätter als an Nadeln erinnern.
Aufgrund der höheren Niederschläge auf der chilenische Seite der Anden (feuchte Westwinde vom Pazifik regnen an den Andenflanken ab) erklärt sich auch das deutlich kleinere Verbreitungsgebiet im Regenschatten Argentiniens. Da diese Baumdinosaurier auf der Liste der stark gefährdeten Arten stehen (Kahlschlag für Nutzholz und Verdrängung durch eingeschleppte, schneller wachsende Baumarten), werden die Schutzgebiete rund um die noch verbliebenen, natürlichen Wuchsgebiete auf beiden Seiten der Anden stetig erweitert. Und der Schutz geht sogar so weit, dass die Straße durch den Park, um bestehende Bäume herum geführt wird = Straße teilt sich mit dem Baum in der Mitte.


Im Nationalpark Lanín, am heute unbesetzten Besucherzentrum, schnallen wir die Wanderschuhe an und machen uns auf zum Fuße des gleichnamigen Vulkans. Gemütliche 5 Kilometer geht es erst durch Wald und dann über Lavageröllfelder zum Aussichtspunkt auf den erloschenen Berg. Von der argentinischen Seite gesehen ist der Gipfel leider durch Wolken verdeckt, die sich auch während unserer Mittagspause einfach nicht verziehen wollen. Am Mirador ist für uns Schluss, denn der weitere Weg zum 5 Stunden entfernten refugio und in der Folge der Klettersteig hinauf zum Gipfel ist nur entsprechend ausgerüsteten und vorher registrierten Bergsteigern vorbehalten. Und so heißt es eben, Kekse und Wasser wieder einpacken und zum Rückmarsch blasen.
Der Plan, auf dem einzigen Campingplatz im Nationalpark zu übernachten, scheitert an der Größe unseres Fahrzeugs. Oder anders ausgedrückt: der Zufahrtsweg ist nicht für unsere Dimensionen ausgelegt worden. Und so beschließen wir (ist ja erst früher Nachmittag), heute doch noch über die Grenze nach Chile zu fahren.
Die argentinische Grenzstation ist nur 3 Kilometer entfernt, kurz vor dem 1300m hohen Pass Mamuil Malal. Wir werden immer routinierter. Schon vor den Fragen der Grenzer nach den entsprechenden Dokumenten schieben wir die jeweiligen Papiere über den Tresen. Alles geht flott voran…bis…ja, bis die chilenische Gesundheitsinspektorin unseren Wagen zu filzen beginnt. Schränke und Klappen auf und zu. Schubladen raus und wieder rein. Gründlich ist sie ja. Zu allem Überfluss müssen wir uns von einem wunderbaren Stück Lomo (Rinder-Rückenfilet) aus unserem Gefrierfach trennen. Unerbittlich ist sie auch. „Verboten!“ Komisch, denn letztes Mal durften wir eingefrorenes Fleisch nach Chile einführen. Wir fügen uns. Trotzdem muss sich Christian ganz schön bemühen, ob dieser gefühlten Sinnlosigkeit und Verschwendung keine Zornesfalte auf der Stirn zu bekommen.














Wenige Minuten später staunen wir aber schon wieder über die grandiose Landschaft, mit der uns Chile empfängt. Durch sattgrüne Urwälder fällt die Straße auf fast Meereshöhenniveau zurück. Selbst der vorher wolkenverhangene Vulkan Lanín erstrahlt im Sonnenschein – mit freier Sicht auf den Gipfel! Im ersten Ort nach der Grenze, in Curarrehue, halten wir an einem kleinen Almacen (eine Art Tante-Emma-Laden für den täglichen Basisbedarf) und ergattern an der Fleischertheke ein großes „Ersatzlomo“. So einfach konnten wir den Verlust dann doch nicht aus dem Kopf bekommen.








Nur ein paar Kilometer weiter rollen wir gegen 18 Uhr bei Hans Thurner auf seinen liebevoll gestalteten und gepflegten Campingplatz mit Blick auf den immer noch aktiven Vulkan Villarrica. Dieser ist stolze 2847m hoch und im Januar 2019 das letzte Mal ausgebrochen. Nachts kann man den Kraterrand manchmal rot leuchten sehen, selten auch ein kleines Funkenspucken.
Die Großeltern von Hans sind Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von München nach Chile ausgewandert. Er selbst hat auch einige Jahre in Deutschland bei Audi und Autoteile-Unger in Süddeutschland gearbeitet, bevor er sich mit einer Autowerkstatt bei Santiago de Chile selbständig gemacht hat. Wir werden empfangen wie Familienangehörige. Super sympathisch. Statt einem Tag bleiben wir dann auch deren drei. Lassen die Beine am Steg im Fluss baumeln, pflücken und schmausen reife Zwetschgen direkt vom Baum und verbringen lustige Stunden gemeinsam mit Hans bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. Artikel für unsere Webseite schreiben und Hausputz stehen auf dem Programm und der Luftfilter staubt beim Ausblasen, als ob er auf der Tour noch nie gereinigt worden wäre.
Am dritten Tag fährt uns Hans mit seinem Auto zu den nahegelegenen Termas de Menetue. Einem edlen Spa mit vielen Pools verschieden heißen Quellwassers. Wir lassen uns den Nachmittag lang richtig gut durchkochen, sonnen uns auf der Wiese und kommen am frühen Abend müde und geschlaucht (von was eigentlich?) wieder beim PuCe an. Die graue Campingplatzkatze wartet schon und klagt mit lauten Maunzen ihre Streicheleinheiten ein.
Warum gibt es hier so viele Vulkane und Thermen geballt auf einem Haufen? Die Antwort liegt im „ring of fire“. Der zirkumpazifische Feuergürtel (eigentlich ist er hufeisenförmig; Süd- und Nordamerika hoch dann über die Aleuten an Kamtschatka und Japan vorbei bis hinunter zu der Nordinsel Neuseelands), ist der größte zusammenhängende Vulkangürtel der Erde. Einmal rund um den Pazifik herum reihen sich in Küstennähe über 450 aktive Vulkane entlang der 40.000km langen Plattengrenzen aneinander. Die Andenkordillere, an deren Westflanke wir uns befinden, gehört mit dazu. Vor der Küste Chiles schiebt sich die ozeanische Nazca-Platte unter die südamerikanische Kontinentalplatte. Und an dieser Nahtstelle kommt es immer wieder zu Erdbeben und Vulkanausbrüchen; da hat es mächtig Dampf auf dem Kessel, der sich den Weg an die Oberfläche sucht und den wir z.B. in Thermen genießen dürfen.


















Mit einer Empfehlung von Hans, doch unbedingt das private Naturreservat Huilo Huilo zu besuchen, ändern wir unseren Plan für die nächsten Tage und verlassen nach einem gemeinsamen Morgenkaffee mit ihm das Dörfchen Catripulli eben in Richtung Süden, anstatt uns weiter nordwärts zu orientieren.
Auf dem chilenischen Circuito de los Siete Lagos cruisen wir ganz entspannt durch eine immer grüner werdende, wunderschöne Landschaft an den Lagos Calafquén und Panguipulli entlang, bis wir am Nachmittag in Neltume unseren Übernachtungsplatz, den Camping Río Fuy, erreichen. Entlang der Reservatsgrenzen gibt es immer wieder Zugänge (hier Portale genannt) mit Wanderwegen zu jeweils ganz eigenen und besonderen Highlights. Am Portal Leon, direkt neben dem verrückten Hotel Montaña Magica, das einem Berg nachempfunden sein soll, starten wir zuerst den Sendero Hoffman (benannt nach dem Gründer des Naturreservats, dem Holzbaron Rudolfo Hoffman) und danach den Leona y Espíritu, der uns mit den Mapuche-Geistern, die hier im Wald noch umherschwirren und die sich in vielen entlang des Weges aufgestellten Statuen manifestieren, verbinden soll. Auf den Wanderungen durch den verwunschenen Dschungelwald mit uralten Bäumen fühlt man sich an Elfen und Feen erinnert.




Es wird merklich herbstlich; ein leichter Gelbschatten legt sich hie und da schon über die Laubdächer und es ist Brombeerzeit. An vielen Stellen machen wir Halt und schlemmen mit blauen Fingern und Lippen die reifen Früchte. Spirituell beseelt gelingt der kurze Hüpfer ans Ende des Tals nach Puerto Fuy, wo wir uns an einem kleinen Foodtruck eine Tüte knusprig-frische Churros gönnen und die Fährverbindung über den Lago Pirihueico für den morgigen Tag auschecken.
Eigentlich eine Autofähre über den langgestreckten See zur weiteren Straßenanbindung über den Paso Huahum nach San Martin de Los Andes in Argentinien ist sie auch als „Ausflugsboot“ bei Touristen äußerst beliebt. Für eine Handvoll Pesos – ca. €5,00 hin und zurück für uns beide – kaufen wir morgens um kurz nach acht Uhr die Tickets (in der Hochsaison muss man sich wegen des Andrangs schon um drei (3!) Uhr in der Früh anstellen) für die pünktliche 9 Uhr-1,5-Stunden-Überfahrt nach Puerto Pirihueico. Zu dieser frühen Morgenstunde hängen die Wolken noch über dem Wasser und den bewaldeten, steilen Berghängen zu beiden Seiten des Sees. Wir stehen die meiste Zeit an Deck und erleben, wie eine großartige, zerklüftete, für Menschen fast unzugängliche Landschaft langsam an uns vorbeizieht.
Die eine Stunde Aufenthalt in Puerto Pirihueico reicht geradeso für eine Tasse heißen Tee und einen kleinen Spaziergang; leider war die zwar freundliche alte Dame im einzigen kiosko derart langsam, dass wir unser completo italiano nicht mehr rechtzeitig bekommen hätten (haben wir dann aber nach unserer Rückkehr am späten Mittag in Puerto Fuy nachgeholt…versprochen ist versprochen!). Viel zu früh, um schon zum Feierabendbier überzugehen, machen wir uns auf zu dem nahen Huilo-Huilo-Portal Cueva Vulcanico. Zuerst mitten durch die ausgespülte, stockdunkle Lavakaverne (cueva vulcanico) führt der Weg durch einen märchenhaften Dschungel mit dinosaurieralten Bäumen zu einem grandiosen Wasserfall, hinter dem man auf einem Steg auch entlanglaufen kann…könnte…ohne Regenjacke allerdings keine gute Idee. Also bleibt nur den Anblick von vorne. Trotzdem zum Staunen. Wir sind beide sehr froh, Hans´ Empfehlung für den Abstecher zu diesem zauberhaften Fleckchen Erde gefolgt zu sein.












Am Ende des Tages bleiben wir auf einem Campingplatz am Lago Panguipulli, baden vor dem Abendessen im See und genießen den Blick auf den Vulkan Mocho Coshuenco.
Wie schon geschrieben wird es hier „unten“ langsam herbstlich. Das heißt, vor allem nachts wird es kalt. Und tagsüber erreicht das Thermometer auch kaum mehr die 20-Grad-Schwelle. Wir finden, dass wir in den vergangenen Monaten, also im hiesigen Sommer, Feuerland, Patagonien und die Region Siete Lagos bei fast ausschließlich tollem Wetter ausgiebig auskosten durften, es nun aber an der Zeit ist, der Sonne nach Norden zu folgen.
Nach den Wochen im traumhaften Gebiet der sieben Seen (gleichnamig sowohl in Argentinien als auch in Chile), werden wir ein neues Kapitel aufschlagen. Auf einer letzten, langsamen Fahrt verabschieden wir uns von der chilenischen Schweiz und erreichen bei Lanco die perfekt ausgebaute Autobahn Ruta 5 – die Panamericana – die fast ganz Chile von Nord nach Süd durchschlängelt.



Die allenthalben fälligen Mautgebühren zahlen wir gerne; können wir doch mit im Durchschnitt fast 80km/h „Strecke machen“. An drei Stellen werden wir jedoch kurz von Bauernprotesten aufgehalten. Große Traktoren auf der Autobahn versperren die Weiterfahrt. Wie Christian von den abgestellten Spezial-Einsatzkräften des Militärs auf einem Rasthof erfährt, handelt es sich um Demonstrationen für angemessenere Preise für die Bauern auf ihre landwirtschaftlichen Produkte…klingelt da was? Gab es in und um Hamburg kürzlich auch erst. Alles läuft friedlich ab; die Alemános dürfen durchfahren.




Bei Collipulli müssen wir erneut anhalten. Denn es gibt was zu sehen: Das Malleco-Viadukt. Eine große, rostig-gelbe Eisenbahnbrücke über den Fluss Malleco. Mit einer Höhe von 102 Metern zählte sie Ende des 19. Jahrhunderts zu den höchsten Brücken der Welt und ist derzeit die vierthöchste Brücke Chiles.
Das Viadukt wurde vom Ingenieur Victorino Aurelio Lastarria berechnet und 1890 offiziell eingeweiht. An der Ausschreibung für den Bau der Metallkonstruktion nahmen 3 französische Unternehmen teil; darunter auch die Firma von Gustave Eiffel, was den immer noch festhängenden Mythos erklären könnte, dass Eiffel der Erbauer dieser Brücke gewesen sei. Den Zuschlag erhielt jedoch die Firma Schneider-Creusot. 1990 wurde die Brücke dann von der chilenischen Regierung zum Nationaldenkmal erklärt. Also runter von der Autobahn und dem mittlerweile über 130 Jahre alten, filigranen Bauwerk, das täglich von vielen Zügen überfahren wird, die nötige Ehrerbietung entgegenbringen.
Die folgende Stellplatzsuche hat uns eine Unterführung hinter der Autobahnausfahrt kurz nach Collipulli gründlich vermasselt. 2,80m Durchfahrtshöhe…zu niedrig! Reicht uns gerade mal bis zur Hälfte der Windschutzscheibe. Daher muss ein eigentlich schon geschlossener Campingplatz an einem Fluss direkt neben der Autobahn herhalten. Die freundliche Oma lässt uns netterweise für einen Nachsaisonpreis die Nacht verbringen. Nichts Spektakuläres, aber wir fühlen uns sicher und gut aufgehoben.
Morgen geht´s dann nochmal schnelle 300km auf der Ruta 5 über Linares in das Dörfchen Rari zu Maurizio auf seinen Campingplatz „Sol y Sombre“ (Sonne und Schatten), auf dessen enger Zufahrt wir ein paar tiefhängende Äste massakrieren müssen. Aber alles „no problema“. Herzlich willkommen. Entspannt euch erst mal. Die Sonne scheint, es ist warm und wir können abends seit langem wieder draußen essen.

Und was wir bei Maurizio, seinen Hunden und Pferden sonst noch so Spannendes erlebt haben, erzählen wir im nächsten Bericht.