Von Río Gallegos nach Ushuaia


Vamos al fin del mundo!

Kurz vor der letzten großen Stadt auf dem Argentinischen Festland, Río Gallegos (Fluss der Gallizier, benannt nach den vielen Einwanderern aus dem spanischen Gallizien), fahren wir in dem Weiler Güer Aike den Campingplatz Pescazaike an. Nach einer Besichtigung mit dem Jungen von der Rezeption erscheint dieser Platz aufgrund seiner niedrigen Durchfahrtshöhen unter den Bäumen für uns leider ungeeignet. Und jetzt kommt der Gaucho-Hut-tragende Patron mit Spitznamen „Vaca“ des hier ansässigen Sportfischervereins ins Spiel, der uns auf dem Fußweg begegnet. Er übernimmt kurzerhand die Führung und entscheidet für uns alle, dass auf der Wiese neben der Einfahrt (die normalerweise keine Camping-Stellfläche ist) genau der richtige Ort für unser Mobil sei. Also werden alle Barrieren kurzerhand entfernt und wir bekommen die Pole-Position des Platzes. Was folgt, ist das für uns schon bekannte Ritual…wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin, was gefällt euch an und in Argentinien, etc., etc.. Vaca lädt uns zwei ganz spontan und herzlich zu einem Asado heute Abend ein. Übrigens heißt so ein typischer Gaucho-Hut „boina“.
Um 22 Uhr (!) werden wir zum Lagerfeuer gerufen, an dem schon 3 Lämmer auf Estacas aufgezogen sind und inmitten einer geselligen Runde vor sich hingrillen. Heute findet nämlich die Weihnachtsfeier des besagten Sportfischervereins statt und wir werden sofort als „Mitglieder“ aufgenommen.

Bierdosen und Weinblasen aus Pferdeleder, sogenannte „botas“, machen die Runde. Der Trick ist, die Getränkebehälter nicht an die Lippen zu führen (der Nachbar will ja auch noch daraus trinken), sondern den Wein aus beträchtlicher Entfernung in den Mund zu drücken. Die Profis machen das mit ausgestrecktem Arm. Wir besudeln uns kräftig…natürlich die Lacher sind auf unserer Seite. Und so gehen die nächsten gut 4 Stunden kurzweilig ins Land; wir haben viel Spaß und lernen, dass sie die Sportfischerei nur als „catch-and-release“ betreiben (Fangen und Wiedereinsetzen). „Nein…Fisch essen wir nicht. Wir mögen lieber ein anständiges Stück Fleisch vom Grill“. Na, das sind uns mal verrückte Angler.
Zu einer Weihnachtsfeier gehört auch eine Jahresabschlussansprache. Wir lauschen und klatschen mit Kennermiene, verstehen aber (wenn überhaupt) nur ein Viertel. Macht nichts. Bis hierher waren alle sehr entspannt, doch als der Grillmeister kurz vor Mitternacht die Lämmer für „fertig“ erklärt, gibt es kein Halten mehr. Großes Gedränge um den Fleischtisch. Jeder bekommt reichlich…Kartoffeln werden von Hand zu Hand gereicht. Wieder einmal schlemmen wir köstlich zubereitetes Lammfleisch. Und wer ursprünglich welchen Rotweinbecher am Tisch hatte, ist nach ein paar Minuten auch unwichtig geworden. Gegen halb drei verabschieden wir uns auf wackeligen Beinen ins Bett. Bevor wir am nächsten Tag abfahren dürfen, müssen wir uns noch in das Gästebuch des Fischereivereins mit Spruch und Aufkleber eintragen und werden mit großem „hasta proxima“ verabschiedet. Welch´ große und vorbehaltlose Herzlichkeit und Gastfreundschaft!

Am 3. Adventssonntag besuchen wir die „Virgen de Güer Aike“ auf dem Steilhang vor dem Campingplatz. Eine überdimensionierte Treppenanlage führt auf den Berg zur Jungfrau, eine Art Wallfahrtsort. Neben den üblichen zu erwartenden „Mitbringseln“ der Wallfahrer, wie Blumen, Schmuck und Bittbriefe, werden auch Spielzeuge, Alkohol und Zigaretten vor dem Altar abgelegt. Das ist mal eine neue Erfahrung für uns! Scheinbar schätzen alle Heiligen in Argentinien (nicht nur der Gauchito Gil…) auch ganz irdische Genüsse. Der Blick, den die Madonna auf den Fluss, über die weite Fläche bis hin nach Río Gallegos und auf den Atlantik hat, jedenfalls ist toll.

Als wir uns ausreichend gesegnet fühlen, fahren weiter zur Laguna Azul. Kurz vor der Grenze zu Chile etwas abseits der Ruta 3 liegt dieser tiefblaue See in einem erloschenen Vulkan und lädt uns zu einem Spaziergang hinunter in den Kratergrund ein (streckenweise eher ein Kraxeln über loses Lava-/Bimsgestein). Bisschen wie bei James Bond – hoffentlich öffnet sich nicht gleich die Seefläche… Wir genießen die Sonne und die Windstille unten am Seeufer bevor wir abends oben am Kraterrand unser Camp aufschlagen.

Montag morgens geht es zeitig an die Grenze. Wir verlassen Argentinien nach einem guten Monat, um nach Chile einzureisen. Die ersten Grenzgebäude, die wir passieren, erscheinen verlassen, kein Zöllner weit und breit; wir beraten uns kurz und mit anderen Reisenden (wird wohl ein aufgegebener Grenzposten sein) und nach kurzem Stopp fahren wir ein paar hundert Meter weiter. Und schon heißt es „Bienvenido a Chile“, das ging ja flott.

An der chilenischen Grenze schlängeln wir uns zunächst an der LKW-Karawane vorbei und stehen an zur Erledigung der Einreiseformalitäten. Und dann ist der Schreck groß: uns fehlt das Ausreisepapier aus Argentinien……..also „zurück auf Los“ nach Argentinien bevor wir nochmal in Chile einreisen. Beim zweiten Anlauf finden wir auch die zuständigen Beamten in dem leer wirkenden Gebäude. Merke für die Zukunft: erst aus einem Land ausreisen und danach im neuen Land einreisen. Das ganze Prozedere ging zügig vonstatten. Auch bei der viel gefürchteten Lebensmittelkontrolle (Chile hat ziemlich strikte, aber undurchsichtige Vorschriften, was alles über die Grenze mitgenommen werden darf) haben wir nur eine Knoblauchknolle abgeben müssen. Der restliche Inhalt des Kühlschranks ist durchgewunken worden. Warum dürfen unsere gefrorenen Fischfilets über die Grenze, aber Knoblauch nicht?

In Chile sind die Straßen tipptopp in Schuss und so sind wir flugs an der Fähre, die uns über die Magellanstraße nach Feuerland bringen soll. Als wir ankommen steht just ein Schiff mit geöffnetem Schlund im Hafen und wir werden sofort an Bord gewunken. Venga, venga! Uns ging das alles fast zu schnell. Ran, rein, weg. Bezahlen an Bord.

Die halbstündige Überfahrt stehen wir an Deck, lassen uns den Wind um die Nase wehen und freuen uns wie kleine Kinder: wir sind in Feuerland!!!

Fähre über die Magellanstraße
Grenzstation Argentinien
Grenzstation Chile
auf der Straße zum Ende der Welt
Richtung Feuerland

Am anderen Ufer erstmal bei einem Kaffee Durchatmen und Verdauen, dass wir uns wirklich dem „fin del mundo“ (dem Ende der Welt) nähern. Über sanft geschwungene Landschaften „segeln“ wir bei tollem Sonnenschein noch eine gute Stunde bis zur Reserva Natural Pingüino Rey. Einer Kolonie Königspinguine; die einzige Kolonie übrigens, die auf dem Festland ihr Bruthabitat hat. Die restlichen Könige siedeln auf subantarktischen Inseln, wie z.B. Südgeorgien. Da heute (Montag) Ruhetag für die Pinguine ist und demzufolge das Reservat geschlossen hat, dürfen wir mit Erlaubnis des Parkrangers direkt vor dem Eingang übernachten. Morgen früh um 10 Uhr gibt es die erste Führung. Im Laufe des Abends gesellen sich noch 4 weitere Camper zu uns und so lernen wir Elvira und Harald aus Augsburg kennen, die mit ihrem Landcruiser „Branco“ an den Anden entlang nach Süden gereist sind. Pläne werden ausgetauscht und die Verabredung für Weihnachten in Ushuaia steht.

Pünktlich um 10 Uhr geht das Tor auf und unsere kleine Gruppe steht bereit für die erste Führung des Tages. Vor dem Tor treffen wir Luca aus Mailand, der heute ganz früh auf seinem Fahrrad angeradelt kam. Luca spricht perfekt Deutsch (hat vor einigen Jahren in Hamburg gearbeitet) und ist mit Fahrrad und Zelt auf einer ähnlichen Tour wie wir unterwegs…dauert nur länger…und schläft, wo er Abends aus dem Sattel fällt. Seine Geschichten sind wirklich faszinierend und wir kommen aus dem Palavern nicht heraus. „Immer wenn du glaubst, schon alles gesehen zu haben, begegnest du einem noch Verrückteren…:-)“

Im Vergleich zu den Reservaten der Magellanpinguine sind hier die Schutzmaßnahmen nochmals strikter. Wir dürfen uns nicht direkt unter die über einen Meter hohen Königspinguine mischen. Die Weibchen sind kurz davor, ihre Eier zu legen; die Eier werden nicht in Bruthöhlen oder Nestern abgelegt und bebrütet, sondern das Ei liegt auf den Füßen überdeckt mit einer Bauchspeckfalte. Die einjährigen Pinguine stecken mitten in der Mauser. Und die Männchen machen erstmal nichts. Nächster Job: Futter für die Küken ranschaffen. Die Brutzeit beginnt hier unten im Süden nochmals etwas später, weil der Sommer beginnt ja auch später. Mit gebührenden Abstand, Fernglas und Spektiv ausgerüstet, verfallen wir auch diesen großen Vögeln. Obwohl gar nicht so viel Bewegung in der Kolonie herrscht; eigentlich wird mehr Rumgestanden als Gelaufen. Und so herrscht bei aller aufgeregten Faszination eine Atmosphäre der Ruhe und Bewunderung.

Beseelt von diesen tollen Erlebnissen entscheiden wir uns, heute noch weiter nach Tolhuin zu fahren. Dies bedeutet ein neuerlicher Grenzübergang zurück nach Argentinien bei San Sebastian (die Grenze zieht sich fast senkrecht von Nord nach Süd mitten durch Feuerland) und so sind wir nach nur gut 24 Stunden wieder aus Chile raus. Diesmal klappt es auch mit der richtigen Reihenfolge. Folge dem Prozess! Haben wir doch schon im Hafen von Montevideo gelernt.
Noch schnell Lebensmittel und Diesel in Río Grande bunkern bevor wir am späten Nachmittag in Tolhuin direkt am Ufer des Lago Fagnano ankommen. Im Norden Feuerlands dehnte sich der Horizont noch endlos in die Ferne und hier überragen schon Gletscherspitzen die steilen, bewaldeten Täler. Wenn ein Vergleich überhaupt zulässig ist, dann eher wohl mit Nordskandinavien oder Alaska.

Bei „Camping Hain“ gefällt es uns so gut, dass wir beschließen, gleich 3 Nächte zu bleiben. Ein mit viel Herzblut und Kreativität gestalteter Platz, hauptsächlich erbaut aus recycelten Materialien, mit sehr freundlichen Betreibern (drei Brüder).
Wir haben ja noch Zeit, bis wir Weihnachten in Ushuaia sein wollen; nur noch gut 100km entfernt und durch die südlichen Gebirgsausläufer der Anden getrennt.

Am See entlang führt ein Wanderweg zur Laguna Negra. Wir haben Glück mit dem Wetter (Sonne und kaum Wind) und laufen am Ufer entlang durch einen kleinen Wald. Die Bäume sind mit Bartflechten überzogen – sieht sehr verwunschen und verzaubert aus. Überall hängen die langen Bärte von den Zweigen oder klammern sich an die Baumstämme. Es tut so gut, nach den Wochen der flachen Pampa endlich wieder Wald zu sehen, zu spüren und zu schnuppern! Lupinen blühen in rosa und violett, die Vögel zwitschern. Frühsommer in diesem Teil der Welt. Da die Temperaturen im Dezember nur durchschnittlich 9 Grad Celsius betragen, fragen wir uns, ob man hier jemals nur ein T-Shirt trägt? Wir sind auf jeden Fall trotz Sonne froh über unsere dicken Winterjacken.

Im Laufe der drei Tage – wie könnte es auch anders sein – treffen wir auch wieder auf alte Reisebekannte (Anja & Ullrich, Sonja & Hans-Peter und den herzlich-verrückten Luca). Alle auf dem Weg nach Ushuaia. Weihnachten naht und so wir machen uns bereit für den Hüpfer über den kleinen Andenpass ans südlichste Ende des Amerikanischen Kontinents. Nicht jedoch ohne vorher noch eine etwa vierstündige Wanderung zur Laguna Esmeralda (Smaragd-Lagune) zu unternehmen. Aufgrund der Nähe zu dem Touristenort Ushuaia ist hier ziemlich viel los und wir sind froh, so früh am Tag gestartet zu sein. Durch dichte Wälder, über von Gletschern abgeladene Geröllmoränen, an von Bibern aufgestauten Seen vorbei nimmt der Weg deutlich an Steigung zu. Manchmal fühlen wir uns wie mitten in einem Bild von Bob Ross. Happy little trees überall. Man könnte die Szenerien fast schon kitschig bezeichnen, so schön sind sie. Am Ende werden wir mit einem grandiosen Blick über einen smaragdfarben glitzernden Gletschersee hinweg auf schneebedeckte Berge belohnt. Nun erleben wir zum ersten Mal am eigenen Leib, was der hier vielzitierte Spruch zum kapriziösen Feuerland-Wetter bedeutet: „wenn Ihnen das Wetter gerade nicht gefällt, kommen sie doch in einer Viertelstunde wieder“. Während unseres Picknicks am See ziehen plötzlich dunkle Wolken und Regen auf. Wir befürchten schon matschig, durchnässt und frierend zurück zum Auto zu kommen. Doch nach etwa 10 Minuten ist der Spuk vorbei und die Sonne scheint wieder (kann natürlich auch andersherum gehen…).

Aber jetzt hält uns nichts mehr…die letzten 30km fahren wir fast wie im Rausch und fallen uns am Ortseingang, am berühmten Stadttor von Ushuaia, in die Arme. Wie Hunderte andere vor uns, so kleben auch wir unseren PuCe-Sticker ans Stadttor. So richtig können wir es noch gar nicht fassen. 4800 erlebnisreiche und fast problemlose Kilometer sind wir bereits unterwegs, um nun an unserem südlichen Wendepunkt anzukommen. Was durften wir nicht schon alles erfahren und erleben. Ohne die Hilfe, Unterstützung und den Zuspruch von unzähligen Menschen, wären wir entweder gar nicht losgefahren oder hätten die kleinen und großen Herausforderungen auf dem Weg hierher alleine nicht meistern können. Wir sind sehr dankbar und fühlen uns sehr privilegiert.

Nach einem kurzen Stadtbummel zur Orientierung und zum Fotoshooting zieht es uns auf den Camping Municipal am westlichen Ende der Stadt kurz vor dem Eingang zum Parque Nacional Tierra del Fuego, wo sich jedes Jahr viele Overlander aus aller Herren Länder zu Weihnachten treffen, um miteinander die Feiertage zu verbringen. Wir werden einige Tage länger bleiben. Und freuen uns schon auf das Christkind.

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